: Schamir stolpert über sein Spiel auf Zeit
■ Scherben und Splitter in Israels Regierungskoalition
Es ist immer der allerletzte Strohhalm, der dem Kamel das Kreuz bricht. Diese ebenso tiefe wie banale nahöstliche Weisheit muß nun auch der Verzögerungstaktiker Schamir am eigenen Leib erfahren. Nach nur 15 Monaten Dauer ist die große Koalition zwischen Arbeiterpartei und Likud in Israel sozusagen am Ende. Zu oft und zu lange hat Likud -Ministerpräsident Schamir - mit Rücksicht auf die Hardliner unter den Seinen - die amerikanischen Kompromisse, die Vorgespräche über einen israelisch-palästinensischen Dialog einleiten sollten, verschoben und verzögert, mit neuen Bedingungen und zusätzlichen Garantieforderungen versehen oder schlicht und einfach abgelehnt.
Schon seit geraumer Zeit zeichnete sich ab, daß all die gegenläufigen und einander widersprechenden Positionen innerhalb der israelischen Regierung die ohnehin fragile Koalition sprengen könnten. Vier Hauptströmungen prägten zuletzt das Erscheinungsbild des Regierungsbündnisses: Der linke Flügel der Arbeiterpartei war nicht nur für eine bedingungslose Annahme der amerikanischen Vorschläge, sondern auch für Gespräche mit der PLO. Die breite Mitte der Arbeiterpartei sprach sich unter bestimmten Bedingungen für einen begrenzten Rückzug aus den besetzten Gebieten aus. Im Likud dagegen wollten sich die Schamir-Getreuen nur unter amerikanischem Druck und nach gewissen Vorabgarantien beugen und erst dann Verhandlungen mit einer Palästinenser-Delegation in Kairo aufnehmen - freilich ohne direkte oder indirekte Beteiligung des Erzfeindes PLO. Die Likud-Mannen um Scharon dagegen waren zu gar keinem Kompromiß bereit. Ihr Ziel hieß und heißt: ein Groß-Israel mit möglichst vielen Neueinwanderern aus der Sowjetunion und am liebsten ohne Araber.
Eine Chance, Neuwahlen zu verhindern und die Risse in der großen Koalition zu kitten, gibt es indes für Schamir noch. Denn Verteidigungsminister Rabin, der ewig zweite Geiger in der Arbeiterpartei, zieht - zur Sicherung der eigenen politischen Pfründe - ein Bündnis von Arbeiterpartei und Likud einer möglichen Koalition mit den kleinen religiösen Parteien vor. Sollte aber dieses Kalkül nicht aufgehen, so stehen dem Land zwischen Negev-Wüste und Mittelmeer Neuwahlen ins Haus. Der Dialog mit den Palästinensern in Kairo dürfte dann erst einmal auf unbestimmte Zeit vertagt sein.
Walter Saller
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