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An Nikosias „green line“ wachsen die Spannungen

Dauerdemonstrationen von Zypern-Griechen auf besetztem Gebiet nach Festnahmen von Studenten  ■  Aus Nikosia Klaus Hillenbrand

„Sie haben schon wieder einen geschnappt“, empört sich Kostas, der ausländischen Touristen bei Tagesbesuchen ins besetzte Nordzypern in die Pässe schaut. Seit Tagen hat er nichts zu tun. Der einzige nur für Ausländer zugelassene Übergang zwischen den beiden Zypern am alten Ledra-Palace -Hotel ist dicht, abgesperrt mit Stacheldrahtrollen. Vor der Sperre läuft eine Dauerdemonstration. Ein Junge in britisch -braver Schuluniform steht neben Kostas in der Baracke. Dimitris Loukas heißt der festgenommene Student, 19 Jahre alt. Angeblich hat sich der junge Mann am Paphos-Tor verlaufen und ist irrtümlich in den türkischen Sektor von Nikosia geraten. Ein anderer Schüler meint dagegen, Dimitris habe versucht, eine türkische Flagge herunterzureißen; jedenfalls ist er jetzt weg, festgenommen von den Behörden des Phantomstaats „Türkische Republik Nordzypern“.

Das Paphos-Tor ist etwa 300 Meter vom Checkpoint entfernt. Die Straße dorthin verläuft parallel zu der alten venezianischen Mauer, die die Altstadt Nikosias umschließt. Unten, auf dem Bürgersteig, stehen kanadische Soldaten der Uno-Friedenstruppe. Oben, auf der Mauerkrone, patrouilliert türkische Anti-Aufstands-Polizei. Die Mauer ist seit der Invasion der türkischen Armee vor mehr als 15 Jahren Grenze zwischen der Republik Zypern im Süden und dem besetzten Norden der Insel. Am Paphos-Tor sind Türen und Fenster des „Spitfire-Cafes“ bis an den Rand mit Sandsäcken gefüllt. Die Ampel an der Kreuzung ist zerschossen: Sie hat seit 15 Jahren weder grün noch rot angezeigt.

Auf der Mauerkrone wehen die Flaggen der Türkei und der „Türkischen Republik Nordzypern“. Die wollte der 17jährige Zyperngrieche Petros Papaleontiou am letzten Samstag runterholen. „Erschießt mich doch!“, rief er den Soldaten zu. Die nahmen ihn in Haft. Knapp zwei Wochen zuvor war der 20jährige Nikos Nikolaou ebenfalls beim Versuch festgenommen worden, auf türkisch besetztes Gebiet vorzudringen. Gegen ihn läuft ein Prozeß wegen Vandalismus, weil er das Atatürk -Denkmal mit griechischen Parolen bemalt haben soll.

Kein griechischer Zypriote darf den Norden betreten, von wo 1974 165.000 von ihnen von der türkischen Armee vertrieben worden waren. Der Reiz des Verbotenen lockt jedoch: Der Frust von über 15 Jahren vergeblicher Verhandlungen der Republik - am Samstag scheiterte der jüngste Versuch einer Einigung in New York - schürt neuen Nationalismus.

„Zypern ist griechisch“, hatte der 20jährige Nikos an das Atatürk-Denkmal geschrieben, trotz der zypern-türkischen Minderheit, mit der man doch einen gemeinsamen Bundesstaat bilden will. „Drüben“, auf der anderen Seite der Nikosia teilenden „green line“, kommen solcherart Proteste schlecht an. Manchen türkischen Zyprioten erscheint die „green line“ und die Besetzung Nordzyperns - angesichts des Andreaskreuzes, nationalistischer Sprüche und geballter Fäuste bei den Demonstrationen im Süden - sinnvoller denn je. Doch daheim werden die zypern-griechischen Jugendlichen zu Helden gemacht, die Eltern sind stolz auf ihre Sprößlinge.

Für 15 Minuten streikten am Mittwoch die Zyperngriechen gegen die „illegalen Festnahmen“, auch der Rundfunk unterbrach sein Programm. Parlamentspräsident Vassos Lyssarides, Nationalist der alten Schule, bat die Parteienvertreter der Inselrepublik zur Sondersitzung, eine gemeinsame Großdemonstration ist für das Wochenende geplant. Die Spannungen an der „green line“ steigen. Eine Frauen-Demo über die Pufferzone hinaus ins besetzte Gebiet wird vorbereitet. Was, wenn beim nächsten Mal die türkischen Soldaten nicht nur Warnschüsse abgeben?

Am Checkpoint Ledra Palace dröhnt griechische Popmusik vom Band. SchülerInnen und StudentInnen sitzen an diesem kühlen Mittwoch abend um ein Lagerfeuer. Griechische Flaggen wehen. Aus einer Fensterhöhle wird Cola angeboten. An den Wänden einer Häuserruine aus dem letzten Krieg haben die jungen Leute Bilder von Städten und Landschaften, die seit 1974 von der türkischen Armee besetzt sind, geklebt. Die 15jährigen haben diese Heimat nie gesehen. Auch die 20jährigen können sich nur spärlich an die elterliche Wohnung erinnern.

Trotz alledem: „Wir vergessen nie“, lautet die Aufschrift neben der Baracke an der Demarkationslinie.

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