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Von der Konfrontation zur Kooperation

Heute findet die letzte Sitzung des Runden Tisches in Ost-Berlin statt / Zentraler Konfliktpunkt mit der Regierung war die verschleppte Auflösung der Staatssicherheit / Seit Mitte Januar setzten Runder Tisch und Regierung auf Kooperation / Verfassungsentwurf als „Vermächtnis“  ■  Von Matthias Geis

Berlin (taz) - Als Ministerpräsident Modrow am 15. Januar dem Runden Tisch im Konferenzort beim Schloß Niederschönhausen überraschend seine Aufwartung machte, klang seine Rede nach Kapitulation: „Ich bitte die Vertreter aller Parteien und Gruppierungen hier am Runden Tisch den Ministerpräsidenten und seine Regierung an ihrer Aufgabe nicht zerbrechen zu lassen.“ Noch eine Woche zuvor, auf der sechsten Sitzung, hatte die andauernde Hinhaltetaktik der Regierung in Sachen Stasi-Auflösung und die Pläne zur Etablierung neuer Geheimdienste den Runden Tisch an den Rand des Scheiterns gebracht. Die Opposition drohte, den Runden Tisch platzen zu lassen, wenn die Regierung nicht umgehend ihren Kooperationswillen unter Beweis stellen würde. Ultimativ forderte sie die detaillierte Information über die Auflösung der Staatssicherheitsdienst, einen Bericht zur inneren Sicherheit sowie die Aufgabe aller Pläne zur Installierung eines Verfassungsschutzes.

Modrows überraschender Auftritt zu Beginn der siebten Sitzung markierte den Umschlagpunkt im bis dahin äußerst angespannten Verhältnis zwischen der Regierung und dem aus der Herbstrevolution hervorgegangenen Verhandlungsgremium. Er versprach die umfassende Information, den Aufschub aller Geheimdienstpläne bis nach den Wahlen und unterbreitete dem Gremium seine Bitte um Regierungsbeteiligung. „Die Regierung braucht und sucht den Rat der am Runden Tisch beteiligten Parteien und Gruppierungen.“ Modrow beschwor den „Konsens aller verantwortungsbewußten Kräfte“ für den weiteren friedlichen Verlauf der Entwicklung.

Wie sehr die Regierung mittlerweile auf die Unterstützung der Opposition angewiesen war, zeigte sich schon wenige Stunden nach Modrows Appell, als sich führende Vertreter des Runden Tisches erneut mit dem Ministerpräsidenten trafen; diesmal auf einer Pritsche vor der Stasi-Zentrale in der Normannenstraße, wo sie gemeinsam versuchten, die aufgebrachte Menge, die kurz zuvor das Gebäude gestürmt hatte, zu beruhigen - Beginn einer Kooperation, die zwei Wochen später in der Regierungsbeteiligung der am Runden Tisch vertretenen Opposition mündete.

Daß die ersten Wochen des Runden Tisches konfrontativ verliefen, beruhte nicht ausschließlich auf der undurchsichtigen Sicherheitspolitik der Regierung, sondern auch auf der Unsicherheit der Opposition über die Funktion des neuen zentralen Verhandlungsgremiums. Bis dahin war der rasante Umbruch im wesentlichen vom Druck der Straße bestimmt. Die Opposition war selbst eher Produkt als Initiator der Bewegung. Es gab zentrale Forderungen - an erster Stelle die Zerschlagung des Machtapparates -, aber keine gemeinsame Strategie. Über Zielsetzungen und Kompetenz eines Runden Tisches unter Beteiligung der Opposition herrschte weitgehend Unklarheit. So war es denn auch nicht die zielgerichtete Forderung der Opposition, sondern das Placet des damaligen Partei- und Staatschefs Egon Krenz, das den Runden Tisch im November auf den Weg brachte.

Konfrontationskurs

Das auf der ersten Sitzung am 8. Dezember vorigen Jahres formulierte gemeinsame Selbstverständnis der acht oppositionellen Gruppierungen sowie der fünf Altparteien klang moderat, hölzern - und weder dem Impetus der Opposition noch der Rasanz des sich vollziehenden Umbruchs angemessen: „Die Teilnehmer des Runden Tisches treffen sich aus tiefer Sorge um unser in eine Krise geratenes Land, seine Eigenständigkeit und seine dauerhafte Entwicklung.“ Anfang Dezember, als noch keinesfalls absehbar war, ob die SED nicht doch noch zur Restauration ihrer Macht fähig war, traf das so formulierte Selbstverständnis weder die Stimmungslage im Land, noch die der oppositionellen Gruppen am Runden Tisch. Eher zeigte sich darin das Verhandlungsgeschick eines Gysi oder Berghofer, die in der Konstituierungssitzung die Oppositionsvertreter regelrecht über den Tisch zogen.

Der Eklat folgte in der zweiten Runde: Die jetzige Regierung, so Rolf Henrich vom Neuen Forum, sei in keiner Weise gesellschaftlich legitimiert; deshalb „muß sie zur Übergangsregierung erklärt werden“. Hatte das Gremium bislang lediglich gefordert, in wichtige Regierungsentscheidungen einbezogen zu werden, so beanspruchte das Neue Forum jetzt ein Vetorecht für den Runden Tisch. Damit war der Kompetenzkonflikt benannt, der das Verhältnis zur Regierung bis in den Januar bestimmte: Sollte der Runde Tisch die - formell noch immer nicht anerkannten - neuen Gruppierungen und Parteien lediglich in einer unverbindlichen Beratungsrunde einbinden, oder bot sich der Opposition die Chance einer Gegenregierung?

Den ganzen Dezember über gelang es der SED-PDS die Kardinalfrage mit einer Doppelstrategie in der Schwebe zu halten. Am Runden Tisch wurde die Opposition mit der Aussicht auf freie Wahlen geködert. Wenn es brenzlig wurde, kam die Drohung: „Die Regierung ist bis zum 6. Mai im Amt. Wenn wir sie heute stürzen“ - so Berghofer in seiner Replik auf Henrich - „sehe ich am 6. Mai keine Wahlen.“ Schalkhaft -bestürzt wies Wolfgang Ullmann von Demokratie Jetzt die Unterstellung von sich. Natürlich wolle man die Regierung nicht stürzen. „Davor habe ich persönlich viel zuviel Angst.“

Indem die Opposition derart zur Räson gebracht wurde, schuf sich die Regierung den Handlungsspielraum für zwielichtige Projekte, wie den Versuch der Überführung von Teilen der ehemaligen Staatssicherheit in einen neu zu schaffenden Verfassungsschutz oder die insgeheim beschlossenen Übergangsgelder für ehemalige Stasi-Bedienstete.

Vor der Eskalation

Bis zum 8. Januar fand keine Sitzung des Runden Tisches statt, auf der die Opposition nicht vergeblich von der Regierung die Information über den Stand der Stasi-Auflösung forderte. Alle anderen Themen, wie Wahl- und Mediengesetzgebung wurden an den Rand gedrängt. Jens Reich vom Neuen Forum räsonierte, ob das provokative Agieren der Regierung auf Dummheit oder Berechnung zurückzuführen sei.

Nachdem bereits das Neue Forum Anfang Januar ultimativ mit dem Auszug vom Runden Tisch gedroht hatte, kam es in der zweiten Januarsitzung zum Eklat: Peter Koch, Zivilbeauftragter des Ministerrates für die Auflösung des Staatssicherheitsdienstes präsentierte in unnachahmlicher Bürokratenrhetorik seine Inkompetenz: „Diese Frage muß ich mitnehmen“ war die hilflose Standardfloskel, mit der er die bohrenden Oppositionsvertreter immer wieder zu vertrösten suchte. Selbst die Frage nach Standort und Sicherungsmaßnahmen des zentralen Datenspeichers blieb unbeantwortet. Am Ende stellte die Opposition dem Regierungschef ein Ultimatum, noch am selben Nachmittag vor dem Gremium zum Rapport zu erscheinen. Doch Modrow war überzeugend verhindert - und die Opposition ließ sich erneut vertrösten.

Daß der Runde Tisch Anfang Januar, auf dem Höhepunkt des Konflikts mit der Regierung, nicht scheiterte, lag weniger an der Einsicht der Akteure als am Zwang der Verhältnisse, der beide Seiten alternativlos in die Kooperation drängte. Die Hinhaltetaktik in Sachen Stasi und der Versuch der SED -PDS, vereinzelte neonazistische Aktivitäten für eine Restauration des Sicherheitsapparates zu instrumentalisieren, scheiterte am erneuten Anschwellen des Übersiedlerstroms und Warnstreikdrohungen im ganzen Land. Mit seiner Tisch-Visite signalisierte Modrow das Einlenken der Regierung. Doch auch der Opposition blieb - trotz ihrer Drohgebärden - keine Alternative zur weiteren Teilnahme am Runden Tisch. Der Umbruch im Herbst war durch die Massendemonstrationen erzwungen worden, auf denen die Namen der neuen Gruppierungen als Parolen fungierten. Anfang Januar jedoch waren die neuen Gruppierungen auf den „Deutschland-einig-Vaterland„-Demonstrationen bereits isoliert. Wenn sie Einfluß auf die Entwicklung wahren wollten, waren sie weiterhin auf die Teilnahme am Runden Tisch angewiesen. Zudem zeigte sich am Zerbrechen des gemeinsamen Wahlbündnisses, an der kontrovers diskutierten Frage der Wahlzulassung der Bürgerbewegungen und am Konflikt um den vorgezogenen Wahltermin, daß die Opposition nicht mehr in allen Fragen gemeinsam agierte.

Pflöcke einschlagen

Seit Mitte Januar gab es keinen prinzipiellen Dissens mehr zwischen Rundem Tisch und Regierung. Die Modalitäten der ersten freien Wahl und das vorläufige Mediengesetz gingen im Konsens über die Bühne. Auch die Kontroverse um Kompetenz und Legitimation beider Gremien ruhte, spätestens seit der Nachtsitzung vom 28. Januar, in der die Beteiligung der Opposition an der „Regierung der nationalen Verantwortung“ ausgehandelt wurde. Dabei wurde die Frage der Legitimation auch für die Opposition am Runden Tisch in dem Maße virulent, in dem sie sich von der zentralen gesellschaftlichen Forderung nach schneller Wiedervereinigung distanzierten. Ähnlich wie sich an der Frage der staatlichen Einigung und ihren Modalitäten innerhalb der einzelnen oppositionellen Gruppierungen ein Konflikt zwischen Führung und Basis entwickelte, entfernte sich der Runde Tisch insgesamt von der weit verbreiteten Einheitsstimmung. Symptomatisch hierfür ist auch die Nichtzulassung der DSU zum Runden Tisch, der einzig relevanten politischen Kraft, die den bedingungslosen Anschluß der DDR an die Bundesrepublik propagiert.

Die Regierungsanbindung des Runden Tisches ist seit Februar die organisatorische Voraussetzung der Kooperation beider Gremien. Inhaltlich beruht die Produktivität auf der mehrheitlichen Ablehnung einer bedingungslosen Übergabe des Landes an die Bundesrepublik. Versuchte der Runde Tisch vor dem Kohl-Besuch Mitte Dezember in Dresden noch vergeblich, der Regierung ein Mitspracherecht bei den Verhandlungen abzutrotzen, zogen vor dem Bonn-Besuch Mitte Februar beide Gremien harmonisch an einem Strang: Tempo drosseln, keine vollendeten Tatsachen vor den Wahlen, öffentliche Darlegung und Debatte über die Folgen der von Bonn forcierten Währungsunion und die unterschiedlichen Wege zur Einheit.

Schlüsselerlebnis Bonn

Kein Ereignis hat diese Intention der Runden-Tisch-Mehrheit deutlicher unterstützt als die herablassende Behandlung der Delegation in Bonn. Seitdem versucht man Pflöcke einzuschlagen, die nicht nur den 18. März, sondern auch den staatlichen Einigungsprozeß überdauern sollen. Zumindest mit der verabschiedeten Sozialcharta hat sich die Verhandlungsrunde der veränderten gesellschaftlichen Stimmungslage der letzten Wochen angenähert. Die Befürchtung, die schnelle Einheit könne materielle und soziale Besitzstände gefährden, wächst. Als „Vermächtnis“ des Runden Tisches wird bereits das Fragment einer künftigen Verfassung apostrophiert, das heute verabschiedet werden soll. Die während des Bonn-Besuchs sinnfällig gewordene Drohung, sowohl die Erfahrungen der 40jährigen Unterdrückung als auch die Identität des oppositionellen Aufbruchs solle mit der Einigung nach Bonner Muster zu einem unwesentlichen Moment des künftigen Einheitsstaates degradiert werden, hat die Arbeit am Verfassungsentwurf noch einmal beflügelt. Ob er Papier bleibt oder als Grundlage für die Verhandlungsposition der DDR in einer Verfassungsgebenden Versammlung dient, kann der Runde Tisch nicht mehr beeinflussen. Seine Arbeit endet mit der heutigen, letzten Sitzung vor den Volkskammerwahlen.

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