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Anwalt Schnur und seine Mandantin Wollenberger

Die oppositionelle Friedensaktivistin wurde 1988 wegen einer Demonstration verhaftet und zur Ausreise bewegt  ■  Von Dominic Johnson

Der Anwalt und heutige Vorsitzende des konservativen „Demokratischen Aufbruchs“, Wolfgang Schnur, war Verteidiger von Vera Wollenberger im Prozeß vom 27. bis 28. Januar 1988, in dem sie wegen „Zusammenrottung“ zu sechs Monaten Haft verurteilt wurde. Am 17. Januar war sie, wie auch andere FriedensaktivistInnen, bei einer Liebknecht/Luxemburg -Kundgebung verhaftet worden.

Am 1. Februar 1988 legte Schnur Berufung gegen das Urteil ein. Schon damals war von Möglichkeiten die Rede gewesen, die Strafe auf Bewährung auszusetzen. Ein solcher Schritt, der öffentlichen Protest gegen die Verurteilungen voraussetzte, hätte Verhandlungen mit der Regierung erfordert. Beides gab es zwar, doch Vera Wollenberger gibt an, von Schnur nichts darüber erfahren zu haben.

Um die Berufungsaussichten zu erörtern, trafen sich Schnur und Wollenberger am Abend des 1. Februar. Den Verlauf des Gesprächs beschreibt Vera Wollenberger in einem Gedächtnisprotokoll so:

„Wir wollten eigentlich das Berufungsverfahren besprechen. Wie es dazu kam, daß wir stattdessen über die vermeintlich aussichtslose Verhärtung der Lage sprachen, weiß ich nicht mehr. Wolfgang bestätigte jede pessimistische Regung von mir in einem Maße, daß ich bald davon beherrscht wurde. Obwohl ich tatsächlich nicht recht wußte, wie mir geschah und ich das irgendwie auch noch registrierte, hatte ich nach der Lektüre eines Briefes von Freya (Klier), in dem stand, daß die Hetzkampagne in den Zeitungen, der in den Zeitungen breitgetretene Vorwurf des Landesverrats und das Urteil gegen mich sie entgegen ihrem früheren Willen dazu bewegt hätte, sich ausbürgern lassen zu wollen, das Gefühl, es sei unvermeidlich, zumindest zeitweise das Land zu verlassen. Dies schien ein Gebot der Vernunft zu sein, obwohl sich mein Gefühl gegen diesen Schritt sträubte.

Ich muß es Wolfgang gegenüber ausgesprochen haben, denn ich bekam von ihm Papier, um ein entsprechendes Gesuch zu schreiben. Allerdings war ich unfähig, eine Formulierung zu finden. So diktierte mir Wolfgang den Wortlaut meines Gesuchs. Nur an der Stelle, wo ich um Ausbürgerung ersuchen sollte, wehrte ich mich. Ausgebürgert wollte ich nicht werden.“

In dem Gespräch versprach Schnur - so die Darstellung seiner ehemaligen Mandantin weiter -, dieses Ausreisegesuch vertraulich zu behandeln, da Vera Wollenberger eine Ausreise nur als Notlösung in Betracht ziehen wollte und eine Entlassung in die DDR auf jeden Fall vorzog. Sobald sie jedoch ins Gefängnis in Hohenschönhausen zurückgebracht worden war, gab Wolfgang Schnur eine Kopie ihres Briefes an das Bonner Ministerium für Innerdeutsches weiter. Auch Rainer Eppelmann erfuhr von Schnur, daß Vera Wollenberger jetzt angeblich nach Westen ausreisen wolle. Dieser informierte ihren Ehemann, Knud Wollenberger, der unverzüglich Gregor Gysi als Anwalt einschaltete.

Am Tage darauf, dem 2. Februar 1988, traf sich Vera Wollenberger mit Rechtsanwalt Vogel und dem Bischof von Berlin-Brandenburg, Forck. Diese stellten die Situation völlig anders dar, wie es in dem Gedächtnisprotokoll weiter heißt:

„Jetzt teilte mir der berühmt-berüchtigte Professor (Vogel) mit distanzierter Stimme mit, daß ich im Laufe der Woche entlassen würde und fragte mich, wohin ich entlassen zu werden wünsche. Ich zögerte keine Sekunde, als ich sagte, daß ich natürlich in die DDR entlassen werden möchte. Er schien überrascht zu sein. (...) Daraufhin gab Vogel mir mit einem unangenehmen Unterton in der Stimme zu bedeuten, daß sein Angebot nur diese Woche gelte und er, wenn ich in der nächsten Woche zu ihm käme mit dem Wunsch, das Land zu verlassen, nichts mehr für mich tun könne. Jetzt war ich nicht mehr ganz sicher, ob ich mich am Anfang nicht verhört hatte und fragte ihn, ob etwa die Alternative sei: Haft oder Entlassung in die BRD. Nein, das sei nicht der Fall. Ich würde auf jeden Fall sofort entlassen, auch in die DDR... Der Bischof, der sich sichtlich freute, daß ich in die DDR entlassen werden wollte, sagte mir nochmal, daß die Entlassung ein Ergebnis von Verhandlungen sei.„

So traf sich Vera Wollenberger nochmals mit Schnur:

„Er hörte sich meinen Bericht mit unbewegter Miene an und fragte dann, ob ich mit Knud über die Ausreise gesprochen hätte. Natürlich nicht, denn das sei ja nun nicht mehr nötig. Wolfgang war sehr skeptisch. Er glaube an meine Entlassung erst, wenn ich draußen wäre. Ich setzte ihm noch einmal genau auseinander, was ich nicht nur von Vogel, sondern auch vom Bischof gehört hatte. Es schien ihn wenig zu beeindrucken. Ich versuchte, mich gegen das niederschmetternde Gefühl, das sich in mir breitmachte, zu wehren.„

Als in den nächsten Tagen die erhoffte Freilassung nicht erfolgte, ließ Schnur nichts unversucht, um Vera Wollenberger zur Ausreise zu bewegen. Er teilte ihr mit, daß Vogels Entlassungszusage nicht mehr gelte und daß alle anderen - Bohley, Templin, Fischer, Hirsch - jetzt im Westen wären. Mit diesem Eindruck der Ausweglosigkeit fügte sie sich somit in die Ausreise und befaßte sich mit einem Angebot zu einem Studienaufenthalt in England.

Was aber sonst noch passierte, sagte ihr Schnur nicht. Am Samstag, 6. Februar 1988, nahm er die Berufung gegen das Urteil eigenmächtig zurück. Noch am selben Tag - völlig unüblich für einen Samstag - beantragte die Staatsanwaltschaft die Aussetzung der Haftstrafe auf Bewährung, wie schon vereinbart. Am Morgen des 8. Februar, einem Montag, setzte das Kreisgericht Lichtenberg denn auch die Strafe aus.

Ebenfalls an diesem Morgen waren, wie jetzt aus den Akten hervorgeht, die Wollenberger mittlerweile einsehen konnte, Schnur und Gysi bei der Staatsanwaltschaft. Sie waren also vermutlich über die Strafaussetzung informiert.

Als sie sich jedoch am Nachmittag mit den Wollenbergers in einem Stasi-Gästehaus in Hönow trafen, erwähnten sie dies mit keinem Wort. Stattdessen wurde die Ausreise nach England organisiert. Noch am selben Abend passierte die Familie Wollenberger die Grenze, ohne zu wissen, daß Veras Strafe schon ausgesetzt worden war und sie eigentlich hätte frei sein sollen.

Zwei Jahre später, am 26. Februar 1990, trafen sich Wolfgang Schnur und Vera Wollenberger beim Runden Tisch. Noch zu dieser Gelegenheit erklärte Schnur: „Vera, ich möchte den sehen, der behaupten kann, er hätte den Schlüssel zu deiner Freilassung gehabt!“ Wie es scheint, hatte er ihn selbst.

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