: „Nie eine Chance für Dritten Weg“
Podiumsdiskussion der sozialdemokratischen Historikerkommission / Stalinismus und Ost-West-Konflikt hätten nach dem Krieg „demokratischen Sozialismus“ verhindert / Kritik an SPD-Kontakten zu Kommunisten ■ Aus Bonn CC Malzahn
Hans Jochen Vogel hob die Stimme und wich vom Manuskript ab: „Wir brauchen uns des SED-SPD-Dialogpapiers auch heute nicht zu schämen!“ erklärte er eindringlich. Man habe darin eine freie und kritische Diskussion in der jeweiligen Gesellschaft gefordert und mit der gemeinsamen Erklärung den DDR-Oppositionellen sogar einen Gefallen getan: „Das Papier wurde im 'Neuen Deutschland‘ nachgedruckt, die Opposition konnte sich darauf berufen.“
Daß Vogel vor den TeilnehmerInnen einer Tagung der Historischen Kommission der SPD in puncto Dialogpapier nochmal in die vollen gehen mußte, hatte seinen Grund: Mehrere Podiumsdiskutanten hatten es explizit kritisiert. Der Berliner Historiker Arnulf Baring wertete es indirekt als „übertriebene Anbiederung“ der Sozialdemokraten an das SED-Regime, und der Pariser Politikwissenschaftler Alfred Grosser sattelte noch drauf: „Man kann nicht sagen: Der Unterdrücker meines Bruders ist mein Bruder!“
Die 1982 eingerichtete Historische Kommission der SPD hatte Ende der vergangenen Woche zwölf Wissenschaftler, Politiker und Journalisten eingeladen, um, so der Vorsitzende Bernd Faulenbach, „zur Klärung des historischen Moments heute im Hinblick auf die Zukunft beizutragen“. Unter dem Veranstaltungstitel „Von der Spaltung zum gemeinsamen Haus? Die Deutschen, die West- und die Osteuropäer“ gingen die ausschließlich männlichen Podiumsteilnehmer in anderthalb Tagen drei Fragen nach. Erstens: Wieso hat es trotz breiter antikapitalistischer Stimmung nach dem Zweiten Weltkrieg keine reelle Chance für einen demokratischen Sozialismus gegeben; zweitens: Haben die Revolutionen in den osteuropäischen Staaten trotz oder wegen der sozialdemokratischen Entspannungspolitik stattgefunden, und drittens: Wie attraktiv sind sozialdemokratische Modelle zur Zeit in Europa; welche Rolle werden die Parteien der Sozialistischen Internationale in den jeweiligen europäischen Ländern künftig spielen?
„Bloßer Antifaschismus reicht eben nicht als demokratisch -sozialistisches Programm!“ brachte der US-amerikanische Harvard-Professor Charles S. Maier die Haltung der KPD nach dem Krieg auf den Punkt. Mit den übrigen Podiumsgästen Alexander Galkin (Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der KPdSU), dem Leipziger Uni-Prof Werner Bramke sowie dem Mannheimer Geschichtswissenschaftler Herrmann Weber war er sich schnell einig: Eine echte Chance für einen Dritten Weg habe es nach 45 in Deutschland nicht gegeben. Weder im einen noch im anderen Teil. Die nach der Faschismuserfahrung zunächst ehrlich gemeinten Annäherungsversuche zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten seien schon nach kurzer Zeit durch die Vereinnahmungspolitik der stalinistischen KPD-Führung sowie wegen des sich zuspitzenden Ost-West-Konflikts verunmöglicht worden. Leider vermieden es die Diskutanten, die Begriffe „Dritter Weg“, „Demokratischer Sozialismus“ und „Soziale Demokratie“ genauer voneinander abzugrenzen; ein Faktum, unter dem auch die weiteren Diskussionen litten.
Daß die Entspannungspolitik, insbesondere die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die Regierung Brandt, „vernünftig“ gewesen sei sowie zwischen ihr und den Reformprozessen im RGW-Block ein Kausalzusammenhang bestehe, bestritt keiner der Teilnehmer der zweiten Runde. Trotzdem bekamen die Sozis ihr Fett weg: Neben der Kritik am Dialogpapier monierte Arnulf Baring, daß die SPD die Oppositionsgruppen „zu spät als Partner anerkannt hat“. Grosser hielt den Sozialdemokraten vor, wegen der auszuhandelnden Reisefreiheit für DDR-Bürger oft auf das verzichtet zu haben, „was man sonst noch denkt“. Für frostige Mienen bei anwesenden Linkssozialdemokraten sorgte Grosser schließlich noch mit der Bemerkung, die Schmidtsche Koppelung von Entspannungspolitik auf der einen und Aufrüstungsschritten auf der anderen Seite sei richtig gewesen, weil die Reformen im Ostblock sonst noch länger auf sich hätten warten lassen. Grosser: „In den Siebzigern ist mir in der SPD oft zuviel über Theoriedefizit und zuwenig über Freiheit geredet worden.“
Die Kritik an der zögerlichen Kontaktaufnahme führender westdeutscher Sozialdemokraten mit Oppositionspolitikern im Ostblock bestimmte auch die dritte Diskussionsrunde. Zwar gebe es in der Solidarnosc „viele sozialdemokratische Ideen“ erklärte Janusz Onyszkiewicz, Chef der Parlamentskommission für Auswärtige Beziehungen in Warschau. „Einige sozialdemokratische Parteien“ hätten aber zu lange Kontakt zu den Kommunisten gehalten und bekämen nun dafür die Quittung. „Das gilt natürlich nicht für die französischen Sozialisten!“ meinte Onyszkiewicz mit Blick auf seinen Nachbarn zur Linken, den französischen Verteidigungsminister Chevenement - der sich artig bedankte. Sein Nachbar zur Rechten, Horst Ehmke, bekam kein Kompliment. Außerdem konstatierte er einen Run „vieler Postkommunisten“ auf den sozialdemokratischen Namen. Das DDR-SPD-Vorstandsmitglied Rüdiger Natzius erklärte „den Begriff Sozialismus“ für sein Land deshalb „auf längere Sicht“ gar für „nicht politikfähig“. Ihm sei zwar geraten worden: Laßt Euch den Begriff nicht wegnehmen, aber: „Ich brauch‘ den nicht.“
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