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Torys sägen an Thatchers Thron

Die von der britischen Premierministerin ausgeheckte neue Kommunalabgaben-Berechnung treibt die BürgerInnen auf die Straße / Palastrevolte gegen die zähe Chefin / WählerInnen wandern zur Labour Party  ■  Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) - Die Kopfsteuer entwickelt sich immer mehr zu einem Alptraum für die britische Premierministerin Margaret Thatcher. Nach einer Woche landesweiter Massendemonstrationen, die zum Teil in Straßenschlachten endeten, formiert sich der Widerstand nun auch in ihrer eigenen Partei. Laut Umfragen des 'Independent on Sunday‘ und der 'Sunday Times‘ wünscht sich ein Viertel der konservativen Abgeordneten Thatchers Rücktritt. Doch die Torys wissen, daß ihre Premierministerin zäh ist: Nur sieben Abgeordnete rechnen damit, daß ihr Wunschtraum vor den nächsten Wahlen, die spätestens im Juni 1992 stattfinden müssen, in Erfüllung gehen wird. Eindeutiger Favorit für Thatchers Nachfolge ist ihr Widersacher Michael Heseltine, der ehemalige Verteidigungsminister.

Heseltine sprach sich in der vergangenen Woche vor dem Unterhaus für eine unabhängige Bank of England, engere Verbindungen zur Europäischen Gemeinschaft und Unterstützung der deutschen Einheit aus - Thatcher vertritt in allen drei Punkten die entgegengesetzte Meinung. Ein konservativer Abgeordneter kommentierte Heseltines Rede: „Er hat gesprochen, als ob er schon Premierminister ist.“ Doch Heseltine spielt seine Ambitionen bei jeder Gelegenheit herunter. Er gehe davon aus, daß Thatcher die Torys in den nächsten Wahlkampf führen und die Wahlen gewinnen werde. Gerüchte, nach denen konservative Hinterbänkler bereits Kontakt mit ihm aufgenommen hätten, um über den Sturz der Premierministerin zu beraten, weist er von sich. Heseltine macht jedoch keinen Hehl aus seiner Ablehnung der Kopfsteuer, die in Schottland bereits seit letztem Jahr gilt und im April auch in England und Wales eingeführt wird. Die Steuer wird von den Gemeinden festgelegt und ist unabhängig vom Einkommen. Da sie nicht mehr pro Haushalt, sondern pro Kopf berechnet wird, muß die Bevölkerung in vielen Gemeinden fast doppelt soviel zahlen wie bisher.

Die Premierministerin läßt sich von der Unruhe in der eigenen Partei jedoch nicht beirren. Hinweise auf eine bevorstehende Palastrevolte tat sie am Samstag als „Poppy cock“ (Quatsch) ab. Ein konservativer Hinterbänkler sagte am Freitag: „Eher gefriert die Hölle, als daß sie freiwillig geht.“ Auf ihrer erfolglosen Propagandatour nach Schottland verglich sich Thatcher mit einem Malz-Whisky, der „seine volle Reife erst im zwölften Jahr erreicht“.

Sie versucht, aus den gewaltsamen Protesten gegen die Kopfsteuer Kapital zu schlagen und macht die trotzkistische „Militant Tendency“ innerhalb der Labour Party als „Rädelsführer“ für die Gewalt verantwortlich, obwohl Kinnock bekannte „Militant„-Mitglieder bereits 1985 aus der Partei ausgeschlossen hat. Polizeiprotokolle belegen außerdem, daß die bei den Demonstrationen Verhafteten fast ausschließlich ortsansässige „NormalbürgerInnen“ waren.

Auch am Wochenende kam es wieder zu turbulenten Demonstrationen, die sich diesmal auf die Londoner Stadtteile Brixton und Hackney konzentrierten. In Brixton mündeten die Proteste in eine Straßenschlacht, bei der ein Streifenwagen zertrümmert und umgeworfen wurde. In Hackney wurden die Polizisten regelrecht „paniert“: Nach einem Hagel von Wasserbomben wurden sie mit Mehltüten beworfen. In anderen Landesteilen verliefen die Demonstrationen weitgehend friedlich.

Labour-Führer Neil Kinnock und die Organisatoren der Demonstrationen - überwiegend „Militant„-Anhänger distanzierten sich von der Gewalt. Kinnock sagte, er stimme mit Thatcher in der Verurteilung der Ausschreitungen „voll und ganz“ überein. Tony Benn vom linken Labour-Flügel betonte jedoch, daß das Gewissen Vorrang vor Gesetzen habe. Er rief zu einem Boykott der Kopfsteuer auf. Benn bezeichnete die Demonstrationen als „größte Protestbewegung seit den Suffragetten in den zwanziger Jahren“, denen es Thatcher schließlich verdanke, daß sie heute Premierministerin sei. „Das will ich den Suffragetten jedoch nicht vorwerfen“, sagte Benn. Siehe auch Kommentar Seite 10

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