: „Sehen Sie, so einfach ist das“
In einem Crashkurs lernen Sportfunktionäre der DDR von Werbefachleuten aus dem Westen das kleine 1£1 kapitalistischer Vermarktung / Gastgeber: ausgerechnet das 'Neue Deutschland‘ ■ Aus Ost-Berlin Herr Thömmes
Das Problem von Steffen Albrecht teilen auch die anderen 120 Leute im Saal: Es fehlt ihnen an Geld. Bis vor kurzem noch verfügten sie alle über stetig sprudelnde Finanzquellen, doch die Zeiten sind vorbei.
Albrecht zum Beispiel ist Vorsitzender der BSG Motor Ascota Karl-Marx-Stadt; die Betriebssportgemeinschaft mit ihren 2.000 Mitgliedern ist dem Trägerbetrieb VEB Robotron Buchungsmaschinenwerk zugeordnet, und von dort kam Jahr für Jahr die „immer konstante Summe“ von 150.000 Mark. „Doch in Zukunft ist das an den Gewinn gebunden“, sagt Albrecht. Und wer weiß, ob überhaupt einer abfällt? Also auf zu neuen Ufern, Eigenfinanzierung ist das neue Zauberwort.
Nur wie? Wer in der DDR weiß denn etwas von Marketing und Sponsoring und Public Relations? Deshalb sitzt Steffen Albrecht jetzt zwei Stunden da, Aktentasche und Block auf den Knien, und schreibt eifrig mit: Wie schnüre ich ein Werbepaket? Was gehört alles in ein Expose? Worin besteht der Unterschied zwischen einem Vertrag und einer Auftragserteilung? Welche Branche spreche ich an?
„Wichtig ist“, doziert vom Podium Hans-Peter Reinberger, Inhaber einer Werbeagentur in West-Berlin, „daß Sie ihre Hausaufgaben gründlich machen.“ Seine Schüler, wenn auch großteils schon in gestandenem Alter, sind ja schließlich die reinsten Pennäler in Sachen Kapitalismus. Da ist es didaktisch ganz vernünfig, mit dem kleinen 1*1 anzufangen.
Aus dem ganzen Land sind sie angereist, vergangenen Freitag, aus Dresden, Jena, Leipzig, Cottbus; „vielleicht die illustreste Anwesenheitsliste, die bei einer theoretischen Veranstaltung des Sports geführt wurde“, freute sich das 'Neue Deutschland‘ ('ND‘) tags drauf: „aus Sportclubs, BSGs, aus Universitäten, von DTSB-Kreis- und Bezirksvorständen, einem Sportensemble, der Staatlichen Versicherung, des Rundfunks und Fernsehens“. Und alle wurden angelockt von einer winzigen Notiz im 'ND‘: Fachleute aus dem Westen geben Tips zum Sportsponsoring. Ort der Veranstaltung: die Redaktion der Parteizeitung der PDS.
So recht wundern tut sich darüber niemand mehr in diesen schnellwendigen Zeiten. Jürgen Fischer, Leiter des Ressorts Sport und Gastgeber, erinnert sich schon noch, wie's früher war: „Wir hatten bisher ein schlechtes Verhältnis zum kommerziellen Sport.“ Das ist zwar eher noch untertrieben, aber was soll er machen bei so vielen Anfragen aus der Leserschaft? „Es gibt große Ratlosigkeit“, da muß doch einfach geholfen werden.
So einfach geht das nicht. Da ist beispielsweise der Mann von der Wohnsportgemeinschaft Marzahn, einem beeindruckend häßlichen Neubaugebiet in Berlin. 12.000 Mitglieder, die Sportanlagen in jämmerlichem Zustand. Herr Reinberger kann da keine große Hoffnung machen. „Was sie brauchen, sind neue Strukturen. Wer bei uns Tennis spielt, zahlt erst mal 1.000 Mark Aufnahmegebühr und dann pro Jahr noch mal 300 Beitrag. So finanzieren sich Vereine.“
Trübe Aussichten, doch schlechte Stimmung läßt Franjo Vranjkovic gar nicht erst aufkommen. Reinbergers Ideenproduzent („ich spinne jetzt mal“) erklärt den mit Mühsal Beladenen das Prinzip des positive thinking: „Das Wort Problem zerstört alles.“ - „Werbung ist wie der Glaube an Gott.“ Und Wunder gibt es immer wieder. Haben denn nicht die Bobsportler jahrelang vergebens versucht, die Fahrer einzeln zu vermarkten, und dann plötzlich „den ganzen Verband an Audi verkloppt. Sehen Sie, so einfach ist das.“
Vranjkovic ist hier „aus reiner Gefühlsduselei“. Die Erleuchtung, als Nachhilfelehrer im Ostteil der Stadt wirken zu müssen, sei ihm beim Angebot eines großen Konzerns gekommen, ein DDR-Verein solle für ihn Trikotwerbung machen. Angebotene Gage: zwei Sätze Sporthemden. „So geht's doch nicht.“
Einer wie XY-Zimmermann hätte derzeit reichlich Gelegenheit, in der DDR mahnend den Finger zu heben. Ganze Rudel der Spezies Nepper, Schlepper, Bauernfänger streunen durchs Land, die Realsozialisten ohne rechtliches Know-how übern Tisch zu ziehen. Was Wolf-Ullrich Merkel, beim SC Leipzig neuerdings fürs Marketing zuständig, in den vergangenen Wochen erlebt hat, „geht in den Bereich des Wirtschaftsverbrechens“. Auch beim Kollegen Siegried König vom TSC Berlin, dem Klub des Kugelstoßers Ulf Timmermann, sind bereits 10 bis 15 Firmen vorstellig geworden.
Denn Verträge sind so gut wie bares Geld wert: Die Agentur verpflichtet sich zu nichts, außer für den Auftraggeber „tätig zu werden“, und dem sind damit die Hände gebunden. Später werden die Verträge an andere Firmen verkauft. Profit: die Differenz der Provisionshöhe.
Für jede solche Warnung sind die Pennäler dankbar. Es geht ja den meisten erst einmal darum, überhaupt eine Idee davon zu bekommen, was die neue Zeit bringen wird. Eckdaten, Orientierungsrahmen, Vergleichsmöglichkeiten gibt es nicht.
Gleich nach dem Mauerfall zum Beispiel hatte eine Kaufhauskette der DDR-Handballauswahl für ein Turnier 300.000 Westmark bezahlt, die Eishockeymannschaft Dynamo Berlin mußte sich mit 5.000 zufriedengeben. Woher, fragt ein Funktionär, kann ich denn wissen, daß ich mich nicht zu billig verkaufe?
Das ist schwer zu sagen bei einem Geschäft, das keine staatlichen Festpreise kennt, aber wenigsten können die Teilnehmer am zweistündigen Crashkurs einige Hinweise mitnehmen: Agenturprovision je nach Leistung an 15 Prozent; Bandenwerbung bis 30 Prozent; Rabatte bei Ausrüstung 8-20 Prozent; Sponsorwert für einen Fußballklub der Amateurliga um 25.000 Mark-West.
Steffen Albrecht steckt das Schulheft ein und streicht sich den dunkelblauen Anzug glatt. Viel Neues erfahren hat er nicht, aber immerhin die Gewißheit gefestigt, daß ihm bisher keine großen Fehler unterlaufen sind: „Die generelle Linie war klar.“ Seinen zwei besten Radfahrern hat er schon vor Wochen eine Ablösesumme von 50.000 Mark in den Vertrag geschrieben, ganz marktwirtschaftlich.
Und vielleicht hat die Veranstaltung ja auch den Dozenten noch was gebracht. „Ist zufällig jemand vom Motorsport hier“, fragte Hans-Peter Reinberger so zwischendurch, und als sich einer freut: „Die kommen jetzt groß raus“, sagt der Werbemann: „Eben deshalb.“
Die Gefühlsduselei westlicher Werbemenschen hat eben auch ihre Grenzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen