„Schraubenzieherfabriken“ - Litauens Perspektive

■ Noch ist das baltische Land im Leipziger Messe-Pavillon der UdSSR zu finden: „Vor allem für Kontakte mit litauischen Firmen“

Leipzig (taz) - Der doppelt übermannshohe Lenin starrt grimmig auf die BesucherInnen der Leipziger Messe, und dem Andrang auf das Werbematerial nach zu urteilen, hat die Sowjetunion bislang nicht viel von ihrer Attraktivität verloren. Den mit Abstand größten Pavillon, der die Ausmaße einer eigenen Messehalle hat, besitzt sie ohnehin noch.

Eine Repräsentanz wird sie allerdings schnell verlieren: die für die Unternehmen und Organisationen aus Litauen. „Wir rechnen nicht damit, noch einmal hier zu sein“, sagt Vytis Kasdzys, Direktor der Außenhandelsgesellschaft Litimpex. Das hat nicht einmal damit zu tun, daß sich das Land soeben faktisch von der UdSSR losgesagt hat, sondern am Geldmangel: Noch können die Organsationen die Standmiete in Rubel an die sowjetrussische Pavillonleitung bezahlen, im nächsten Jahr werden auch hierfür wohl Devisen fällig. Und dann muß Litimpex auf die aufwendige Präsenz verzichten.

Ohnehin ist Litimpex, Absurdität zentraler Planung, gar nicht so sehr an West-Kontakten oder Verbindungen mit der DDR interessiert, sondern an Gesprächen mit den anderen litauischen Ausstellern des Pavillons. Nur mitten im Messegeschehen, urteilt Kadzys, könne ernsthaft über Verträge gesprochen werden, denn die großen Exportunternehmen Litauens werden immer noch aus Moskau dirigiert. Dort werden die Entscheidungen gefällt, und nicht durch Vereinbarungen mit der Litimpex.

Die staatliche Organisation ist noch jung und klein: 1987 gegründet, hat sie im ersten Jahr ihrer Arbeit Waren für rund zehn Millionen Dollar exportiert, 1989 waren es 31 Millionen, und für dieses Jahr werden 40 bis 60 Millionen Dollar angestrebt. Am liebsten, gibt Kadzys zu erkennen, würden sie die petrochemischen Produkte aus Litauen vermarkten - sie machen rund 200 Millionen Dollar aus und tragen damit zwischen einem Drittel oder der Hälfte zu den litauischen Exporterlösen bei. Die aber landen einstweilen ebenfalls in Moskau.

Vom Tourismus einmal abgesehen, rechnet Kadzys aber nicht mit der bundesdeutschen Industrie, sondern eher mit Abnehmern und Lieferanten aus Schweden, Italien und Dänemark. „Die Bundesrepublik will nicht die Sezession von Moskau unterstützen. Die Firmen haben viele Interessen in der UdSSR und nur sehr, sehr wenig in Litauen.“

Was soll über die Ostsee und an den Stiefel verkauft werden? Bei agrarischen Rohstoffen und teilverarbeiteten Produkten ist Kadzys optimistisch. In diesen Bereichen werden die Märkte ausschließlich über die Preise gewonnen. Produkte wie Kasein, Milchpulver oder Fleisch seien durchaus konkurrenzfähig. Schwieriger wird es bei der bedeutenden Holzverarbeitung: Kapazitäten liegen brach, weil die Lieferung der Stämme immer unzuverlässiger wird: Streiks, der Krieg im Kaukasus mit der Blockade mehrerer tausend Eisenbahnwaggons, all dies habe die Anlieferung per Schiene unberechenbar gemacht.

Nur resigniert mit den Schultern zucken kann Kadzys beim Blick auf die ausgestellten litauischen Maschinen und Elektro-Erzeugnisse. „Sehen Sie die Computer? Die sind doch jetzt schon historisch.“ Etwas Hoffnung setzt er in die Umrüstung der Rüstungsfabriken: „Das könnte zu Erfolgen führen.“ Ansonsten gebe es aber nur eine wirklich bedeutende Perspektive: „Schraubenzieherfabriken“, in denen Westwaren bei niedrigen Lohnkosten montiert und sogleich wieder ausgeführt werden. Eine Handvoll solcher Firmen gibt es in Litauen bereits, etwa für die Montage von Telefax-Geräten doer Computer-Komponenten aus Österreich oder für Video -Kameras. „Was sollen wir sonst machen?“

Lebhafter wird Kadzys wieder, als das Gespräch auf die künftige litauische Währung kommt. Konvertierbarkeit des neuen litauischen Zahlungsmittels wird noch nicht angestrebt, sogar für einen Stufenplan hin zu freien Tauschmöglichkeiten mag sich Kadzys nur zögernd aussprechen. Die Geldentwertung macht ihm ungleich mehr Sorgen: „Jede Fabrik hat Millionen von Rubel Guthaben, mit denen man nichts kaufen kann.“

diba