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Bulgarien - Demokratie oder Nationalismus?

Peter Beron von der Union der Demokratischen Kräfte (UDK) über „Eko-Glasnost“  ■ I N T E R V I E W

taz: In Bulgarien gibt es zur Zeit fast täglich Demonstrationen, obwohl die gegenwärtige Regierung Reformen verspricht. Was fordern die Demonstranten?

Peter Beron: Vor einiger Zeit hatten wir einen runden Tisch über verschiedene Probleme unserer politischen und ökonomischen Entwicklung. Die Kommunisten versuchten dort, die Dinge zu verschleppen. Deshalb wurden die Menschen wütend und gingen auf die Straße. Wir wollten, daß die KP beweist, daß sie es ernst meint. Das tat sie nicht.

Welche Art von Beweis für ihre Ernsthaftigkeit erwarten Sie von der Regierung?

Vor allem die Auflösung der betrieblichen Parteiorganisationen. Dann müssen sie uns Zugang zu den Medien verschaffen. Wir haben nur eine Tageszeitung mit einer Auflage von etwa 100.000. Die Kommunisten haben alle anderen Medien, mit einer Millionenauflage täglich. Dann gibt es einige Gesetze, die in diesem Monat im Parlament verabschiedet werden sollen. Wir wollen, daß diese Gesetze zuerst am runden Tisch verhandelt werden.

Zahlreiche Organisationen haben sich jetzt in der Union der Demokratischen Kräfte (UDK) zusammengeschlossen. Was ist der Zweck dieses Bündnisses?

Die jungen Organisationen sind zu unerfahren, um alleine die Auseinandersetzung mit der KP zu bestehen. Deshalb haben sie sich in der UDK zusammengeschlossen. Die einzelnen Organisationen sind selbständig und unabhängig, aber es gibt ein Koordinationskomitee und darin sind drei Vertreter jeder Organisation. Zu den Wahlen werden wir mit gemeinsamem Programm und Kandidaten antreten.

Sie sind führendes Mitglied der Umweltgruppe „Eko -Glasnost“. Diese Organisation wurde im März 1989 gegründet und ist sehr populär. Das läßt auf große Umweltprobleme schließen.

Vor zwei Jahren wurde ein Komitee zur ökologischen Verteidigung der Stadt Ruse gegründet. Das war der erste Protest gegen das Schiwkoff-Regime. Das Komitee wurde von der Regierungsmacht verfolgt, schikaniert und schließlich zerschlagen. Heute haben wir landesweit mehrere tausend Mitglieder. Die Probleme sind zahlreich. Der Boden ist in vielen Teilen des Landes durch Schwermetalle vergiftet, die Luft verschmutzt, Flüsse vergiftet, der Wald in einer schlimmer Verfassung.

Was ist für die Landwirtschaft geplant?

Ich denke, die Felder werden in Zukunft verkleinert werden. Das Land soll an die Menschen, die es bearbeiten, gegeben werden. Die Verwendung von Düngemitteln und Pestiziden muß drastisch eingeschränkt werden. Sie vergiften das Schwarze Meer.

In Bulgarien wird auch die größte Kernkraftwerkanlage der Welt gebaut.

Wir haben jetzt ein Kernkraftwerk in Betrieb, das schon recht alt ist und weitere 15 Jahre laufen soll. Danach will die Regierung ein neues in Betrieb nehmen. „Eko-Glasnost“ kämpft dagegen.

Wie ist das Verhältnis Ihres Landes zur Sowjetunion nach dem Machtwechsel im November?

Es gibt keine antirussischen Gefühle in unserem Land. Die Reformpolitik Gorbatschows hat großen Einfluß auf unser Land gehabt. Energiewirtschaftlich sind wir sehr abhängig von der Sowjetunion und unsere meisten Produkte gehen dorthin.

Wie sehen Sie ihre Auslandsbeziehungen in der Zukunft? Denken Sie, daß Sie EG-Mitglied werden?

Wir wollen natürlich Mitglied der Europäischen Gemeinschaft sein. Wir sind zwar bisher nicht vorbereitet, aber wir sollten darauf hinarbeiten.

Sie haben in Bulgarien große Nationalitätsprobleme. Die türkischen Minderheit wurde brutal unterdrückt und ist in der Folge massenhaft ausgewandert. Die Türken möchten autonome Rechte haben. Gibt es Differenzen innerhalb der vereinigten demokratischen Opposition in dieser Frage?

Allgemein kann man sagen, daß es eine Übereinstimmung darüber gibt, daß alle in Bulgarien lebenden Menschen dieselben Rechte haben sollten, ohne Unterschied ihrer Nationalität. So gesehen ist das Problem ganz einfach. Aber für unsere große moslemische Minderheit haben wir Gesetze, die deren Rechte schützen. Wir wollen, daß sich alle Bewohner in das nationale Leben des Landes integrieren. Außerdem wollen wir eine Stabilität mit unserem türkischen Nachbarn erreichen, um in Sicherheit zu leben.

Es gibt eine neugegründete nationalistische Partei, die nicht in der UFK integriert ist. Sehen Sie die Möglichkeit, daß sich der Nationalismus in Bulgarien demnächst verstärken wird?

Diese Organisation nennt sich „Komitee zur Verteidigung der nationalen Interessen“. Sie ist ein Gegengewicht zur türkischen und moslemischen Bewegung in unserem Land. Die Bulgaren mögen den Wunsch haben, daß sie beschützt werden. Aber in dieser Organisation sind auch viele schlechte Personen. Personen, die verantwortlich sind für die Namensänderungen der Türken in der Zeit der sogenannten „Bulgarisierung“. Wir sind gegen jede politische Partei mit ethnischer Begründung.

Im Juni finden Parlamentswahlen statt. Glauben Sie, daß die Kommunistische Partei auch danach noch die Macht im Land haben wird?

Die KP selbst wird sich ändern, wird sich spalten. In Bulgarien ist ein Fünftel der Erwachsenen Mitglied der KP. Das sind fast eine Million Menschen. Wenige sind wirklich strenge Kommunisten, die keine Veränderung akzeptieren wollen. Möglich, daß die KP nach der Wahl die Macht wieder erhalten wird. Aber sie wird sicher nicht die selbe Partei sein. Die UDK wird zumindest eine starke Fraktion im Parlament haben. Und sie wird mit Sicherheit an der neuen Regierung beteiligt sein.

Interview: Gretel Ruschmann

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