: Abschied des Runden Tisches
Unter vehementen Angriffen auf die Regierung plädiert der Runde Tisch für die Überführung von Staats- in Privateigentum / Diskussion über Verfassungsentwurf ■ Aus Ost-Berlin Klaus Hartung
Volkseigentum in die Hände des Volkes, Volksentscheid für eine neue Verfassung: Das war das doppelte Vermächtnis des Runden Tisches, der gestern zum letzten Mal zusammentraf. Die Sitzung war geprägt von Grundsatzdiskussionen, Zeitmangel und immer wieder aufkommender Wahlkampfpolemik. Demokratie Jetzt und die SPD hatten einen erneuten Vorstoß unternommen, um die Frage des Volkseigentums zu klären, bevor die DDR kapitalisiert wird. Es ging um die rechtliche Voraussetzung der Marktwirtschaft, um eine förmliche Übereignung des Volkseigentums: die „Privatisierung des Volkseigentums zugunsten der Bürger zu gleichen unentgeltlichen Anteilen“. Damit gingen vehemente Angriffe gegen die Regierung Modrow einher: Sie habe einen „Akt der Rechtsbeugung“ begangen, indem sie verfassungswidrig die „Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten in Kapitalgesellschaften“ verabschiedet habe. Das widerspreche dem Paragraphen 12 der geltenden Verfassung. Umwandlung des Volkseigentums bedürfe einer verfassungsmäßigen Grundlage, diese wiederum bedürfe erst der realen Verwandlung von Staats- in Volkseigentum. Jeder Bürger soll also den sechzehnmillionsten Teil dieses Eigentums in Form von Anteilen in die Hand bekommen. Auf einen Wert von 40.000 Mark wird dieser Anteil geschätzt; mit der Währungsunion könnte er allerdings schnell an Wert verlieren. Auch deshalb sei die Angelegenheit dringlich, erklärte Ullmann, Minister ohne Geschäftsbereich. Für Fischbeck (Demokratie Jetzt) ist diese Eigentumsübertragung die einzig gerechte Lösung und auch die „einzige Möglichkeit, die Bürger hierzubehalten“. Für Schneider von der SPD ist es die rechtliche Voraussetzung zur Marktwirtschaft.
Die SPD am Runden Tisch (der Parteivorstand hat dazu noch keine Meinung) hält diese Privatisierung für notwendig wegen der Gefahr, daß die SED-Wirtschaftskader unkontrolliert mit westlichen Kapitalgebern verhandeln und sich vorab in der Übergangsphase eine Marktstellung zu sichern suchen. Das Neue Forum hatte deswegen eine eigene Vorlage eingebracht: Es gebe bereits Beispiele, wie die „Nomenklatura der SED“ „sich in den Besitz des Volkseigentums“ setze. So beschloß denn der Runde Tisch mit Mehrheit, daß der Ministerratsbeschluß vom 21.12.89 aufgehoben wird, der den alten Kadern neue wirtschaftliche Macht gab. Alte Kaderleiter dürfen „ihre Funktion nicht mehr ausüben“, neue Personalchefs nur mit Zustimmung der Betriebsräte eingestellt werden. Sowohl den PDS-Vertretern als auch dem Demokratischen Aufbruch war ein solches Vorgehen „zu riskant„; befürchtet wurde ein „Vakuum“ (DA) oder eine neue Welle der „Demagogie“ (Gysi). Die Mehrheit fand jedoch, die Beibehaltung alter Machtstrukturen sei riskanter.
Auch bei dem Thema der Eigentumsübertragung ergab sich eine merkwürdige Mischung von linken und rechten Gegenargumenten. Die Linken (Vereinigte Linke, PDS, Demokratie und Menschenrechte) wollten verhindern, daß das Volk mit den Anteilen spekuliert, befürchteten, daß dann „Großbanken“ die Anteile einsammeln. Gysi wünschte sich die Anteile als „unveräußerlich“ und schlug andere Begriffe für Privatisierung vor. Die CDU fragte hauptsächlich nach den Eigentumsrechten der ehemals Enteigneten. Schneider (SPD) wehrte den Vorschlag „unveräußerlicher“ Anteile brüsk ab: Privatisierung sei ja gerade dafür da, daß die einzelnen am Wirtschaftsprozeß auch teilnehmen. Ullmann setzte seine ganze Autorität ein: Es gehe darum, ob das Land willens ist, seine Bürger zu schützen. „Wir müssen alles tun, damit unseren Bürgern kein Unrecht geschieht. Das aber ist schon lange im Gange.“ Wenn man die Frage des Volkseigentums nicht klären könne, dann ist die „Funktion des Runden Tisches erloschen“. Fortsetzung auf Seite 4
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Nach derartigen Appellen hatte der Vorstoß von SPD und „Demokratie Jetzt“ die Mehrheit. Beschlossen wurde, die Regierung solle die „Bewertung“ des Volkseigentums mit Vorrang betreiben; die Einrichtung eines Kartellamts sei vorzubereiten; in einem Rechtsgutachten solle die Aufrechnung des genossenschaftlichen Eigentums geklärt werden und bis zum Amtsantritt der neuen Regierung keine eigentumswirksamen Veränderungen erfolgen. Haupttagesordnungspunkt war gestern jedoch der Vorschlag eines Verfassungsentwurfes. Wie die Arbeit an der neuen Verfassung, so erfolgte auch die Schlußdebatte unter unsinnigem Zeitmangel.
Eine Fülle von Artikeln lag vor. Ziel: die künftige Regierung auf einen Volksentscheid über die Verfassung am 17. Juni 1990 festzulegen. Das stehe, so der Minister ohne Geschäftsbereich Poppe, durchaus
nicht einer verfassungsgebenden Versammlung beider deutscher Staaten entgegen.
Der Entwurf sei vielmehr ein Beitrag, der über die „tradierten Vorbilder“ hinausgehe - also auch über das Grundgesetz. Er soll - in bewußter Anknüpfung an die Herbstrevolution - die „gewonnene Volkssouveränität in allen Teilen bewahren“: darum plebiszitäre Elemente und besondere Verfassungsbestimmungen zur Abwehr anonymer bürokratischer Mächte. Der Grundrechtskatalog sei zudem moderner: er nimmt Umwelt, Wiedergutmachung, das Recht auf Wohnung und Arbeit und eine besondere Schutzpflicht des Staates gegenüber den sozial Schwachen auf.
Die Verfassung soll aber „kein Wechsel auf die Zukunft sein“, sondern die Garantie für einen Verfassungsstaat. Der erste Streit (bei Redaktionsschluß) begann über die Frage der Staatsbürgerschaft: Die Sorben fühlten sich beim Begriff „deutsche Kulturnation“ ausgeschlossen.
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