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„Mit uns gibt es keine Mogelpackung“

■ Interview mit Innensenator Erich Pätzold (SPD) zum Stand des KiTa-Streiks und zur Verhandlungsbereitschaft des Senats / Pätzold zur Gewerkschaftsforderung nach einem Tarifvertrag: „Dieser Streik richtet sich auf ein nicht erreichbares Ziel“

taz: Herr Pätzold, wie geht es einem Sozialdemokraten, der zum Buhmann der Gewerkschaften wird?

Pätzold: Ich glaube nicht, daß hier bestimmte Sozialdemokraten zu Buhmännern der Gewerkschaften geworden sind. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Gewerkschaften ihre Arbeitnehmerpositionen wahrnehmen und daß sozialdemokratische Senatsmitglieder, wenn auch ungern, Arbeitgeberpositionen vertreten müssen.

Halten Sie die Klage, daß es den ErzieherInnen schlechter geht als anderen im Vergleich mit anderen öffentlichen Bereichen für berechtigt?

Ich kenne eine ganze Reihe von Bereichen, wo die Arbeitssituation äußerst schwierig ist. Da sind die Altenpflege, die Krankenhäuser oder etwa als Verwaltungsbereich die Ausländerbehörde. Besonders schlecht ist die Situation der ErzieherInnen nicht, sie ist aber angespannt.

Wie steht es nun um die Verhandlungen, gilt weiter Ihr Wort, daß es „ein bißchen Tarifvertrag nicht gibt“?

Natürlich wollen wir überall, wo es geht, Tarifverträge abschließen. Es gibt sie bundesweit, es gibt sie auch in den Ländern. Aber nirgendwo, grundsätzlich auch in der Wirtschaft nicht, gibt es Tarifverträge über die Personalausstattung. Und im öffentlichen Bereich ist das so wie in einem Koordinatensystem: Wenn die Senkrechte, also Vergütungshöhe und Arbeitszeit, durch Tarifvertrag festgelegt ist und dann auch noch die Waagerechte, also die Personalausstattung für jede öffentliche Aufgabe, dazutritt, dann haben Regierung und Parlament nichts mehr zu entscheiden. Deshalb wird es einen Tarifvertrag über die Personalbemessung weder direkt noch indirekt geben.

Bei den Verhandlungen Anfang Februar, so war von den Gewerkschaften zu hören, sollen auch Sie zu Tarifverhandlungen bereit gewesen sein. Wieso sind Sie wieder umgeschwenkt?

Nein, das war nicht so. Wir haben bei Senatorin Klein ein Gespräch geführt. Dabei haben die Gewerkschaften ein völlig anderes Modell entwickelt als den vorliegenden Tarifvertragsentwurf. Der sieht ja quasi eine Verdoppelung der KiTa-Kräfte vor - eine astronomische Vorstellung, die an der Ernsthaftigkeit auch sonst zweifeln läßt. Damals habe ich gesagt, über diese modifizierten Vorstellungen würde ich anfangen nachzudenken. Doch dabei zog die Tarifgemeinschaft Deutscher Länder nicht mit. Auch der Senat mußte nach Prüfung feststellen, daß es so nicht ging.

Eine bundesweite Vorreiterrolle wollen Sie nicht spielen?

ÖTV und GEW halten uns in Berlin für den schwächsten Punkt und wollen bundesweit etwas durchsetzen, das Modellcharakter haben soll. Sie wollen generell im öffentlichen Dienst - bei Bund, Ländern und Gemeinden - die Arbeitsbemessung in Tarifverträgen regeln. Deshalb ist der Widerstand der öffentlichen Arbeitgeber dagegen auch so groß. Gerade wir in Berlin mit unserer großen Abhängigkeit von der Finanzhilfe des Bundes würden bei einem Abschluß eines solchen Tarifvertrags sicher ganz übel abgestraft werden.

Immerhin müssen Sie hier in Berlin gegen eine zustimmende Koalition von CDU und AL angehen...

Ich würde das nicht gerade als Koalition bezeichnen. Ich bin mit der AL als Partner sehr zufrieden. Man hat da in früheren Zeiten ganz andere Koalitionspartner kennengelernt. Zwischen AL und SPD geht es politisch und menschlich sehr sauber zu, auf AL-Seite vielleicht manchmal ein bißchen utopisch. Aber die AL ist über nichts unglücklicher als darüber, daß die CDU sich nun nach acht Wochen Streik scheinheilig an ihre ehrliche Meinung anzuhängen versucht. Schließlich hätte die CDU das alles in ihren acht Jahren Regierungszeit längst positiv regeln können. Sie hat aber die KiTa-Situation mehrfach bewußt verschlechtert.

Ist der jetzt vorliegende Kompromißvorschlag der Gewerkschaften, Personal und Gruppengröße in einer Anlage zum Vertrag auszuklammern, mit Ihnen machbar?

Mich wundert der Mut der Gewerkschaften, dies nach acht Wochen Streik als Kompromiß zu bezeichnen. Das ist wohl die unterste Grenze eines Intelligenztests. Tatsache ist, daß schon der ursprüngliche Tarifvertragsentwurf die Regelung dieser Punkte in Anlagen vorsah. Und Anlagen zum Vertrag sind nun mal, wie bei jedem normalen Mietvertrag zum Beispiel auch, Bestandteil des Vertrags. Das ist blanke Augenwischerei; an der Position der Gewerkschaften hat sich kein Deut geändert.

Sie verhandeln nur über einen Tarifvertrag, wenn Personal und Gruppengröße ganz ausgeklammert werden?

Man kann mit uns über alles reden, was keine Auswirkungen auf die Personalbemessung hat. Mit uns gibt es keine Mogelpackung, bei der am Ende doch eine Personalfestlegung zum Vorschein kommt.

Wie lange können Sie mit dem wachsenden Zorn der Eltern noch leben?

Die Eltern sind zu Recht zornig, weil das, was Eltern und Kindern zugemutet wird, sehr unter die Haut geht. Nicht wer etwas Unzulässiges und Unzumutbares verweigert, sondern wer es auf dem Rücken von Eltern und Kindern durchsetzen will, ist an der Zuspitzung schuld. Ein Streik in der Wirtschaft drückt auf die Gewinne der Unternehmer und ist deshalb ein wirkliches Druckmittel. Dieser Streik belastet nur die Kinder und die Eltern, insbesondere die alleinerziehenden Frauen, nicht den Senat, im Gegenteil; der Senat spart an der Streiksituation sogar noch Gehälter, die er nicht sparen will.

Sie haben durchaus Rückendeckung aus den Innenministerien der anderen Bundesländer?

Ich habe ja versucht, bei der Tarifgemeinschaft Kompromisse wenigstens in vermeintlichen Randfragen auf den Weg zu bringen. Aber schon da haben alle anderen Länder entsetzt abgewinkt. Die sehen es ja eher so, daß es bei uns durch die Bundeshilfen manche Besserstellung gibt, die sie sich selbst nicht leisten können. Deshalb wären sie besonders erbost, wenn gerade Berlin hier Kompromisse mit Folgekosten für sie machen würde.

Inwieweit spielen die Kosten der Vereinigung der beiden Staaten und der Stadthälften mit hinein?

Aus meiner sehr persönlichen Sicht und auch aus der des Senats überhaupt nicht. Es kann niemals darum gehen, daß hier im Westen Leistungen verschlechtert werden. Auch mit dem billigen Vorwand nicht, im Osten sei alles noch viel schlimmer, und deshalb müsse ein Ausgleich auf der Mitte gefunden werden. Es geht hier nicht darum, im Westen abzubauen, um im Osten zu Verbesserungen zu kommen.

Aber der öffentliche Dienst soll schon ein wenig stillhalten...

Vielleicht wird es bei uns die Situation geben, daß wir alle, nicht nur der öffentliche Dienst, ein bißchen auf der Stelle treten müssen. Aber auch ohne die Maueröffnung wäre es so gewesen, daß dieser Senat angesichts der vorgefundenen riesigen Vorbelastungen sparen muß.

Aber aus der SPD kam doch gerade das Argument, einen Tarifvertrag wollen wir nicht, sonst berufen sich bald die Ost-KindergärtnerInnen darauf...

Das kenne ich nicht als SPD-Argument. Außerdem gälte dies ja nicht nur für KindergärtnerInnen, sondern auch für alle anderen Berufsgruppen, für den ganzen öffentlichen Bereich.

Machen Sie hier in Berlin ein symbolisches Kräftemessen zwischen SPD und Gewerkschaften vor der Bundestagswahl?

Nein, davon hielte ich gar nichts. Wenn überhaupt, wird uns dies von den Gewerkschaften aufgezwungen. Wir haben das ganz bestimmt nicht gesucht.

Ihr Kontrahent, der ÖTV-Vorsitzende Lange, prognostiziert ja eine katastrophale Entwicklung für den Beruf ErzieherIn, wenn sich nichts in den KiTas ändert. Es würde in ein paar Jahren einen Massenexodus aus diesem Beruf geben.

Für diese Sorge habe ich Verständnis. Bloß man geht das Problem mit falschen Mitteln an. Da ist es nicht die Frage, ob die Personalausstattung der KiTas nun tarifvertraglich geregelt ist oder nicht. Sondern: Wie sehen die Berufschancen insgesamt aus, wie lang ist die Ausbildung usw. Alles dies ist aber kein Berliner Problem, sondern ein bundesweites. Deshalb frage ich mich, warum die ÖTV sich nicht auch bundesweit der Probleme der Erzieherinnen annimmt.

Der Streik kann also noch sehr lange weitergehen?

Ich hoffe nicht. Jeder Tag ist ein Tag zuviel, nicht nur für die Eltern und Kinder, sondern auch für die Erzieherinnen...

Aber Sie lassen sich nicht erpressen...

Dieser Streik richtet sich auf ein nicht erreichbares Ziel, wenn er einen Tarifvertrag für die Personalausstattung fordert. Das wollen und können wir nicht.

Wenn die Verkehrsbetriebe oder die Stadtreinigung das fordern würden, sähe die Sache aber anders aus. Dann würden Sie nach einer Woche nachgeben.

Da kann ich nur sagen: Wenn etwas Unerreichbares ertrotzt werden soll, kann man nicht nachgeben. Auch in den Gewerkschaften sind sich viele dessen bewußt, auch wenn sie sich öffentlich anders äußern müssen. Sie wissen, wo die Grenzen eines Streiks und gewerkschaftlichen Handelns insgesamt liegen. Die Gewerkschaften können und sollen viel für ihre Mitglieder tun, aber sie können nicht die Aufgaben von Parlamenten und Regierungen übernehmnen.

Über was redet Frau Stahmer denn überhaupt mit den Verwaltungen und den Gewerkschaften?

Es ist immer wieder das gleiche. Die Gewerkschaften können uns nicht davon überzeugen, daß es einen Tarifvertrag über die Personalausstattung geben muß. Aber wenn sie schon einen Tarifvertrag wollen, dann sind sie in ihrer Fantasie gefordert, ob es nicht vielleicht andere Dinge zu regeln gibt, die wirklich und ehrlich nicht auf die Personalausstattung wirken. Wir sind auch unterhalb eines Tarifvertrages nach wie vor bereit, die möglichen Absicherungen zu geben. Weitreichende Verbesserungen in der Personalausstattung haben wir bereits zugesagt, obwohl wir dafür überall zusätzlich sparen müssen. Jetzt müssen endlich auch die Gewerkschaften einlenken.

Interview: Hans-H. Kotte/ Thomas Kuppinge

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