piwik no script img

Kochtöpfe, Dudelsackpfeifer, Gysi-Rocker

■ Wahlwerbung in den DDR-Medien / Naive Spots, langweilige Referate und westliche Leerformeln

Mit starrem Blick spricht die mollige junge Dame in die Kamera. Kein Lächeln lenkt von ihren Worten ab. Die Sache ist ernst. Es geht um die Führung der Arbeiterklasse und gegen die „kapitalistische Wiedervereinigung“. „Nur wenn die ökonomischen Mittel in den Händen des Volkes liegen, müssen die Frauen nicht wieder an den Herd“, sagt sie mit drohender Stimme. Erst zum Schluß des Drei-Minuten-Fernsehspots gleitet ein Lächeln über ihr Gesicht. Die Lösung für die unvermeidbaren Probleme der DDR ist gefunden: „Wählt die Spartakist-Arbeiterpartei.“

Wahlwerbung in Fernsehen und Hörfunk der DDR vor den Volkskammerwahlen am 18. März: Jeweils sechsmal am Tag, in streng ausgeloster Reihenfolge, maximal drei Minuten lang und in der Regel nicht, obwohl sich die Angebote bei manchen Parteien häuften, von gewieften Profis aus dem Westen produziert. „Die meisten der Spots sind kopflastig, der Witz fehlt.“ Das sieht Klaus Freimuth vom Neuen Forum, Ingenieur und Hobbyfilmer, als typisch für die hausgemachten Werke an. Er ist Verfasser eines Anderthalb-Minuten-Werks „ohne Ideologie“, wie er findet: Am Straßenrand im verregneten Ost -Berlin sitzt ein bärtiger Dudelsackpfeifer, übt die DDR -Nationalhymne. Vorbei rauscht ein Volvi, darin liest einer 'Neues Deutschland‘ - der Mann wird mit Matsch vollgespritzt. Dem Beispiel der DDR-Funktionärskutsche folgt der kapitalistische Bonzenschlitten - ein Mercedes mit einem 'Die Welt‘ lesenden Insassen. Der Bärtige, die DDR verkörpernd, ist halt immer der Dumme. „All you need is love“, tönt es dann, und eine blonde Fee auf dem Fahrrad mit dem stilisierten Regenbogen des Neuen Forums auf dem T-Shirt hilft dem Geplagten wieder auf die Beine.

Ingomar Reschke, Journalist beim DDR-Fernsehen, hat das Drehbuch für einen Spot der Frauen-Union geschrieben. Mit ein bißchen Freud - „der is ja jar nich so dämlich“, ein bißchen Abgucken bei der ARD und langjähriger journalistischer Praxis. „Die Damen waren janz dankbar, haben jesagt, ach, wie schön, daß Sie solche Ideen haben.“

Bei den Frauen vom Unabhängigen Frauenverband, sonst eher progressiv eingestellt, kreist im DDR-Hörfunk alles um den Kochtopf. „Wir wollen nicht wieder an den Kochtopf. Sollen die Männer jetzt das Bier an den Fernsehen bringen?“ - „Ich will nicht kochen.“ - „Viel kochen, viel essen, viel trinken, viel Spaß haben wollen wir.“ Dann fällt den Damen im Kurzbeitrag auch noch etwas zu ihrem Programm ein.

Die DDR-SPD gehört zu den Parteien, denen Schwesterparteien, DDR-Studios und westliche Agenturen Hilfe anboten. „Wir hatten aber kein Geld und außerdem den Ehrgeiz, die Spots selbst zu machen“, sagt eine Genossin. DDR-Schauspieler, die die Politwerbung in Szene setzen sollten, winkten allerdings ab. Keiner wollte sich für eine Partei vereinnahmen lassen. „Also haben wir aus Archivmaterial und einigen aktuellen Bildern was zusammengeschnitten.“ Ein bißchen Böhme, ein bißchen Brandt eben.

Die DDR-Liberalen verbürgen sich vor allem für Wohlstand und Freiheit, unterstützt von den bundesdeutschen Politikern Otto Graf Lambsdorff und Hans-Dietrich Genscher. Eines ist dabei klar: „Freiheit braucht Leistung. Freiheit ist Leistung.“

Ein Leckerbissen wird den FernsehzuschauerInnen allerdings vorenthalten: Eine Gruppe von Motorradrockern donnert in schwarzer Ledermontur unter den Klängen von „Born to be wild“ los. Nach rauschender Fahrt in eine bessere Zukunft hält die Gruppe an, alle nehmen ihre Helme ab und - der dramaturgische Höhepunkt ist erreicht - PDS-Chef Gregor Gysi entpuppt sich als einer der Ledergewandeten. „We are the Gysis“, dröhnt es dazu - auf dem Papier. Ob Rocker Gysi jemals vom Skript auf den Bildschirm herabsteigt, ist fraglich: „Augenblicklich sind ihm seine Auftritte bei den Arbeitern lieber als solch ein Fernsehspot“, meint der Leiter des PDS-Medienzentrums Ulrich Burow bedauernd.

dpa/taz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen