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Mielke: Der Sozialismus ist so gut

Protokolle aus der Stasi-Zentrale kurz vor der Wende  ■ D O K U M E N T A T I O N

Seit Monaten sind die Archive der Staatssicherheit der DDR - unter anderem 18.000 laufende Meter Personaldossiers versiegelt. Tausend kleiner und großer Spitzel fürchten ihre Enttarnung.

Unter dem Titel „Befehle und Lageberichte des MfS“ wird demnächst im Ostberliner Basisdruckverlag eine Sammlung politischer Lageberichte aus dem Jahre 1989 erscheinen. Wir dokumentieren vorab aus dem Protokoll einer Besprechung bei Stasi-Chef Mielke vom 31. 8. 1989.

Wir beginnen mit der Dienstkonferenz.

Die Probleme, die wir behandeln wollen, sind Euch schriftlich mitgeteilt worden, mit der Aufforderung, Euch darauf vorzubereiten. In einer treffenden und klaren Antwort wollen wir zu diesen Fragen einen gemeinsamen Standpunkt erarbeiten. Die Situation ist sehr ernst, und komplizierte Fragen stehen vor uns.

Genosse Generalmajor Hähnel (Stasi-Chef in Berlin): Ich darf vielleicht kurz voranstellen, die Lage bei den Kräften des politischen Untergrundes und anderer feindlicher Gruppierungen ist im Moment etwa durch zwei Charakteristiken darstellbar.

Erstens meine ich, daß die geplanten Provokationen am 7.Juni und am 7.Juli Neue Grünstraße/Alexanderplatz und die daraufhin von uns eingeleiteten disziplinierenden Maßnahmen ganz sicher ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Das trifft auch zu auf die im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Volksrepublik China durchgeführten Gegenmaßnahmen von uns. Wir schätzen ein, daß wir doch Hauptträger dieser feindlichen Bestrebungen mit unseren Maßnahmen getroffen haben und daß selbst kirchenleitende Kräfte im Augenblick bemüht sind, durch keinerlei öffentlichkeitswirksame Maßnahmen irgendwie das Verhältnis Staat - Kirche weiter zu beeinträchtigen.

Natürlich räume ich ein, daß die Urlaubsperiode sicherlich gewissen Einfluß auf diese Lageentwicklung genommen hat. Ungeachtet dessen ist die Wirksamkeit dieser Gruppen im kirchlichen Raum vorhanden. Wir haben uns bemüht, die Qualität, insbesondere der inoffiziellen Arbeit, zu verbessern und durch gezielte Vorgangsarbeit in Absprachen und konkreten Festlegungen mit dem Leiter der Hauptabteilung XX intensiv weiter diese Entwicklung zu beobachten.

Die zweite Tendenz, die sich abzeichnet, ist charakterisiert durch die Bemühungen der Kräfte um Eppelmann, Böttger und zielt in die Richtung ab, eigenständige Zusammenschlüsse zu schaffen auf DDR-Ebene, ungeachtet, wie sie sich am Ende nennen mögen. Ein solcher erster Versuch wurde ja durch Meckel auf dem bekannten Menschenrechtsseminar am vergangenen Wochenende in der Golgathagemeinde vorgetragen mit Hinweis auf die Bildung der sogenannten Initiativgruppe zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei. Diese Bestrebungen werden bei Eppelmann laut in Interviews, die er fortgesetzt den Westmedien gibt.

Wir sind darauf eingestellt. (...)

Ich hatte die Gelegenheit, auf der Grundlage Ihrer zentralen Information, Genosse Minister, und der von uns daraus formulierten Information für den Genossen Günther Schabowski, vor allen Kreissekretären Berlins und dem Sekretariat der Bezirksleitung - die Sitzung wurde vom Genossen Helmut Müller persönlich geleitet - die Möglichkeit, den Genossen konkrete Hinweise über die Lage zu geben, sowohl was die Gruppierungen anbetrifft, ihre Aktivitäten, Absichten und Ziele, als auch die Druckmaterialien, und über unsere Arbeit zur Eindämmung und Verhinderung der Herstellung und Verbreitung solchen Materials. Ich glaube, diese Beratung war sehr nützlich.

Genosse Minister (Mielke): Und wie ist es in den Betrieben, wie sieht es in den Betrieben aus, wie ist die Stimmung?

Genosse Generalmajor Hähnel: Das ist natürlich eine ganz komplizierte Frage, Genosse Minister, im Augenblick.

Genosse Minister: Das ist eine sehr einfache Frage. Das ist eine Frage der Macht, weiter nichts.

Genosse Generalmajor Hähnel: Hauptschwerpunkt der Stimmung in der Bevölkerung sind die Vorgänge mit dem ungesetzlichen Verlassen über die Volksrepublik Ungarn und die Besetzung der diplomatischen Vertretung durch Bürger unseres Landes. Viele Stimmen ehrlicher Besorgnis kommen hoch, die da sagen, was gedenkt die Führung des Staates zu unternehmen, um dieser Sache Einhalt zu gebieten. Man befürwortet vom Grund her ganz konkret und in vielen Stimmen unsere Haltung zu den Besetzungen in den Vertretungen, bejaht diese Haltung, sagt aber, die Inkonsequenz bestünde darin, daß man zwar Straffreiheit garantiert, das wird befürwortet, man aber diese Leute dann doch über kurz oder lang aus der Staatsbürgerschaft entläßt. Das ermutigt immer wieder Bürger zu solchen Handlungen, und solche Stimmen gibt es auch im Apparat Inneres, die sich ja mit den Kräften bei Genehmigungsangelegenheiten auseinanderzusetzen haben.

Genosse Minister: Wie ist es denn also, wenn Du das so sagst, was könnten denn die Mitarbeiter, Kollegen oder wie ich sie nennen will, oder Genossen tun, um darauf einzuwirken, daß es sich nicht wiederholt die Sache?

Genosse Generalmajor Hähnel: Das ist eine komplizierte und schwierige Frage, Genosse Minister.

Genosse Minister: Das ist die Hauptfrage.

Genosse Generalmajor Hähnel: Ich muß Ihnen sagen, so objektiv wie sich das Bild abzeichnet, leider hört ein großer Teil der Bevölkerung die Mediennachrichten der Westsender bzw. ist davon beeinflußt; glaubt man leider auch den Motiven, die in Interviews die DDR-Bürger gegenüber dem Feind äußern, und die Auseinandersetzung ist sehr hart. (...)

Genosse Minister: Warum, also sie anerkennen die Vorzüge des Sozialismus und alles, was der Sozialismus bietet an Vorzügen, aber trotzdem wollen sie dann weg. (...)

Wollen wir mal den Dresdner hören, was der sagt. Das ist der Genosse Anders, Dresden.

Genosse Oberst Anders: (...) Bei uns gibt es gegenwärtig ein Drittel der Stadt, das durch Privatinitiativen fernsehmäßig verkabelt wurde und damit das Satellitenfernsehen sieht. Zwei Drittel sehen es nicht, und das führt frühmorgens in der Stadt, in den Betrieben natürlich zu vielen Diskussionen, wo dann die, die es nicht sehen, immer die Frage stellen, was ist denn nun, wer hat denn nun recht, oder was hast du nun für Argumente, und der andere zweifelt an diesen oder jenen Erscheinungen. Damit müssen wir uns auch politisch schneller in der Öffentlichkeit auseinandersetzen. Das ist auch die Orientierung, die der 1. Bezirkssekretär dort erneut gegeben hat. Wir selber haben dazu konkrete Festlegungen getroffen, um in politischer Hinsicht unsere Genossen so auszurichten, daß sie nicht nur über das reden, was auf einem anderen Kanal kommt, sondern über die Dinge, die auch durch uns in der Presse, wie jetzt in der 'Jungen Welt‘, oder auch in örtlichen Kommentaren sichtbar wurden.

Genosse Minister: Aber bis dahin hatten sie überhaupt keinen Empfang, einen ganz schwachen Empfang?

Genosse Oberst Anders: Wir hatten in Dresden keinen, nur auf ein paar Höhenzügen, wo das von Berlin aus zu empfangen war.

Genosse Minister: Nun habt Ihr einen besseren Empfang, einen normalen. Das muß man auch mal sehen.

Der Sozialismus ist so gut; da verlangen sie immer mehr und mehr. Ich denke immer daran, als wir erlebten, ich konnte auch keine Bananen essen und kaufen, nicht, weil es keine gab, sondern weil wir kein Geld hatten, sie zu kaufen. Ich meine, das soll man nicht so schlechthin nehmen; das soll man ideologisch nehmen, die Einwirkung auf die Menschen. (...) Und wie viele hauen von Dir ab aus Erfurt?

Genosse Generalmajor Schwarz: Über die Ungarische Volksrepublik bis zum heutigen Tage 355, vorrangig Jugendliche. Natürlich möchte ich auch dazu sagen, Genosse Minister, es sind eine Reihe von jungen Menschen weggegangen, um die es eigentlich nicht schade ist; viele, die ohne Arbeitsrechtsverhältnis sind, die also bei den Kreisdienststellen und vor allen Dingen noch mehr bei der Kriminalpolizei bekannt sind. Leider sind ein paar Jugendliche dabei, die aus gutem Elternhaus sind - bis zum Mitarbeiter.

Genosse Minister: Ist es so, daß morgen der 17.Juni ausbricht?

Genosse Oberst Dangriess (Gera): Der ist morgen nicht, der wird nicht stattfinden, dafür sind wir ja auch da.

Genosse Minister: Du verstehst den Sinn?

Genosse Oberst Dangriess: Ja, ich verstehe.

Man muß sicherlich auf diese Aspekte aufmerksam machen, die im Diskussionsgeschehen doch eine maßgebliche Rolle spielen.

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