: Geht es der Ben-Linder-Koop an den Kragen?
Nach dem Wahlsieg der Regierungsallianz Uno ist der Fortbestand der landwirtschaftlichen Genossenschaftsbetriebe ungewiß / Während die enteigneten Großgrundbesitzer Ansprüche anmelden, wollen die Kooperativen ihren Fortbestand sichern ■ Aus Sebaco Ralf Leonhard
Wenige Kilometer abseits der Panamericana, kaum 100 Kilometer nördlich von Managua, liegt die Benjamin-Linder -Kooperative im fruchtbaren Sebaco-Tal, einem der ertragreichsten Landwirtschaftsgebiete Nicaraguas. Das Farmhaus ist ein unscheinbarer Ziegelbau, dessen Front zehn Tage nach dem Wahldebakel noch mit sandinistischer Propaganda verziert ist. Auch die Genossenschafter bekennen sich offensiv zur Partei, der sie ihren Grundbesitz zu verdanken haben.
Jedoch hat in Sebaco, wie in allen umliegenden Gemeinden, die konservative Parteienallianz Uno den Gemeinderat erobert. Die elf GenossenschafterInnen sind jetzt besorgt. Denn der künftige Bürgermeister, Guillermo Vega, soll im Freundeskreis angekündigt haben, daß den sandinistischen Kooperativen jetzt das Land weggenommen würde. Vega, ein Reisbauer, der das Nachbargrundstück bewirtschaftet, habe sich bisher jedoch keineswegs feindselig verhalten, berichtet Genossenschaftsleiter Ramon Castillo. Bisher ist zwar keiner aus der Kooperative bewaffnet, doch Castillo und die übrigen Mitglieder sind sich einig: „Unsere Errungenschaften werden wir verteidigen.“
Guillermo Vega ist im Lokal der Reisbauernvereinigung zu finden. Der Angehörige einer der konservativen Fraktionen innerhalb der Uno gilt als wohlhabend, soll aber nach Aussagen von Geschäftspartnern bis über beide Ohren verschuldet sein. Der 57jährige Landwirt und künftige Bürgermeister, der sich bislang mit allen Regierungen arrangieren konnte, wird am 25.April erstmals ein politisches Amt übernehmen. Er bestreitet heftig, daß Bauern von ihrem Land vertrieben werden sollen, „aber wenn Genossenschaften nicht funktionieren, muß man sich was einfallen lassen“. Vega will überprüfen, welche Betriebe funktionieren, und die Benjamin-Linder-Kooperative wäre eine der ersten auf seiner Liste. Vom Genossenschaftswesen hält Vega nichts, die GenossenschafterInnen seien mit den Aufgaben der Selbstverwaltung überfordert: „Die Leute mögen gute Arbeiter sein, aber sonst nichts. Vielleicht kann man ihnen einen Verwalter vorsetzen.“
Die Benjamin-Linder-Genossenschaft, benannt nach einem im April 1987 von Contras ermordeten Ingenieur aus den USA, nimmt sich mit ihren staubtrockenen Ackerböden neben den künstlich bewässerten Nachbarfeldern der Region allerdings wie ein Stück Wüste aus. Tatsächlich ist sie eine von vier Kooperativen in der Zone, die im letzten Jahr nichts produziert haben. Dabei kann man im fruchtbaren Sebaco-Tal dreimal im Jahr ernten, vorausgesetzt, die künstliche Bewässerung funktioniert. In der Ben-Linder-Koop ist jedoch seit Monaten die Wasserpumpe defekt. „Wir hatten Pech mit der Ernte im letzten Jahr“, klagt Celina Vanegas, die die Buchhaltung der Genossenschaft führt. „Bei der Bank sind wir verschuldet, weil wir für die Tomaten schlecht bezahlt wurden.“
Der Anbau wurde von der „Del Valle„-Gesellschaft, einer mit bulgarischer Hilfe errichteten Gemüsekonservenfabrik, teilweise vorfinanziert. Die Ben-Linder-Koop hat wie andere Genossenschaften im Sebaco-Tal nun beschlossen, nicht mehr für Del Valle zu arbeiten. Der Grund: Die staatliche Konservenfabrik zahlt kaum mehr als die Hälfte der Produktionskosten. Deswegen zögert die Nationale Entwicklungsbank auch nicht, wenn ein verschuldeter Betrieb um Umschuldung und Finanzierung des nächsten Agrarzyklus ansucht. „Letztes Jahr haben wir in dieser Filiale allein 246.000 Dollar umgeschuldet“, weiß Donald Castillo, Zweigstellenleiter der Nationalen Entwicklungsbank in Sebaco, der viel Verständnis für die Nöte der Bauern hat.
Das jüngste bankinterne Gutachten über die Genossenschaften ist jedoch vernichtend ausgefallen: Nur vier von 36 Kooperativen, die von der Bankfiliale in Sebaco Kredite bekommen, sind ihren Zahlungsverpflichtungen nachgekommen, die Ben-Linder-Koop gehört nicht dazu: „Seit letztem Jahr werden die 42 Hektar nicht bewirtschaftet, sondern dienen als Weideland für das Vieh der Nachbarn“, so die Bilanz, die Castillo aus seinem Archiv zieht. „Die Genossenschaft ist desorganisiert; von den elf Mitgliedern hält sich nur der Chef auf dem Gelände auf. Er betreibt ein Fuhrunternehmen mit dem genossenschaftseigenen Lastwagen.“ Die abschließende Empfehlung des Gutachtens: keine neuen Kredite, bevor nicht produziert wird.
Die Benjamin-Linder-Kooperation ist kein Einzelfall. Von den über 1.200 Vollgenossenschaften, die in den zehn Revolutionsjahren mehrheitlich auf konfisziertem Land entstanden sind, kämpfen die meisten mit wirtschaftlichen Problemen. Zweimal schon mußte die Regierung alle Agrarschulden per Dekret tilgen, um den Zusammenbruch Tausender bäuerlicher Betriebe zu verhindern. Viele Genossenschaften hatten nie eine echte Chance, auf einen grünen Zweig zu kommen: Sandinistische Betriebe in den Kriegszonen waren immer wieder Ziel von Contra-Angriffen. Und selbst Genossenschaften abseits der Bergregionen mußten ständig Mitglieder für die Reservetruppen abstellen und konnten daher nicht mit voller Kapazität produzieren. Zudem konnten die mangelhaft ausgebildeten Bauern, die durch die Agrarreform von landwirtschaftlichen Tagelöhnern über Nacht zu Verwaltern, Buchhaltern, Vorarbeitern und Traktorfahrern gleichzeitig wurden, schwerlich Musterbetriebe aus dem Boden stampfen. Schließlich verhindert auch die staatliche Preispolitik den wirtschaftlichen Aufschwung. Im Zuge der Liberalisierungen im Vorjahr sind zwar die Fixpreise und die Abgabeverpflichtung an die staatlichen Verteiler gefallen. Doch obwohl jeder Bauer nun verkaufen kann, an wen er will, wird der freie Markt heute noch durch andere Faktoren gestört. Dank reichlicher Getreideschenkungen aus der Sowjetunion und den EG-Staaten kann Nicaragua zum Beispiel den politisch wichtigen Reispreis für die Konsumenten niedrig halten. Die nicaraguanischen Produzenten indes müssen mit Verlust wirtschaften, wenn sie nicht auf teuren Chemikalieneinsatz verzichten wollen.
Die Privatunternehmer in der Uno sehen in der Auflösung der Genossenschaftsbewegung die Voraussetzung für eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Seitdem die Uno die Wahlen gewonnen hat, glauben daher viele enteignete Großgrundbesitzer, daß sie ihr Land zurückbekommen. Francisco Mayorga, der wichtigste Wirtschaftsberater der gewählten Präsidentin Violeta Chamorro, bleibt jedoch realistisch: „Das wäre politisches Dynamit.“ Nach dem Motto: „Jeder Bauer will Herr seiner Scholle sein und dann auch effizienter wirtschaften“ sollen den Mitgliedern der Genossenschaften vielmehr Kleinparzellen angeboten werden, in die man das Land zerstückeln will. Diese Eigentumsform birgt allerdings für den Landwirt die Gefahr, daß er nach einer schlechten Ernte sein Grundstück verkaufen muß. Genossenschaftsgrund ist unverkäuflich.
Jeder Großgrundbesitzer, der glaubt, illegal enteignet worden zu sein, soll künftig das von ihm beanspruchte Land sofern es sich in staatlicher Hand befindet - zur Pacht bekommen, bis die Gerichte entscheiden. Wenn das Land verteilt wurde, soll der Voreigner entschädigt werden: Entweder mit gleichwertigen Liegenschaften oder durch staatliche Schuldverschreibungen. „Nach dem 25. April schicke ich meine Anwälte los“, kündigt Juan Jose Quezada an, ein Wirtschafts- und Finanzexperte, der seinen Besitz bei Sebaco noch nicht aufgegeben hat und beteuert, nie enteignet worden zu sein: „Ich habe das Grundstück nur leihweise zur Verfügung gestellt.“ Quezada, der ein trotz der Krise florierendes Kleider- und Schuhgeschäft in der Hauptstadt betreibt, ist auf den Ackerbau nicht angewiesen. Wenn er auf dem Rechtsweg nichts erreicht, wird er jedoch nicht weiterkämpfen: „Was mich nur schmerzt, ist, daß dort jetzt nicht richtig produziert wird.“
„Richtiges Produzieren“, ein auf langfristige Gewinne geplanter und effektiv betriebener Anbau, ist für die Leute auf der Benjamin-Linder-Kooperative zweitrangig. Was für sie zählt, ist, daß sie dank der Kooperative trotz aller Schwierigkeiten zum ersten Mal ihre Selbstversorgung gesichert wissen. „Uns ist es nie so gut gegangen“, beteuern sie, „vor der Revolution war es undenkbar, daß wir vom erarbeiteten Lohn ein Haus bauen könnten.“
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