Anarchischer Witz

■ John Schlesingers satirisches Millionenspektakel „Honky Tonk Freeway“ um 20.15 Uhr auf RTL plus

Schon wieder einer dieser furchtbar öden High-, Speed- oder Freeway-Filme?! So oder ähnlich mag das Publikum gedacht haben, als im Mai 1984 ein Film mit dem abschreckenden Titel Da steht der ganze Freeway Kopf in die hiesigen Kinos kam. Falsch gedacht, denn der deutsche Verleih konnte nichts Verkehrteres anstellen als den Originaltitel Honky Tonk Freeway zugunsten der erwähnten, vermeintlich clever erdachten, tatsächlich aber hochgradig blöden Sentenz aufzugeben, mittels derer so krampfhaft wie ungeniert ein Bezug hergestellt werden sollte zu Hal Needhams bekannter Schrottplatzversorgungsserie Auf dem Highway ist die Hölle los, mit welcher eben dieser Film hier am allerwenigsten gemein hat. Schließlich heißt der Regisseur John Schlesinger, dem wir Filme verdanken wie Asphalt Cowboy und Der Marathon-Mann. Die Betreiber von Programmkinos oder doch zumindest ihr Publikum hätten angesichts dieses Namens stutzig werden müssen. Taten sie aber nicht, und so wurde der Film in stinkige Kinozentren gestopft, wo er völlig zu Unrecht gnadenlos floppte.

Denn tatsächlich handelt es sich bei Schlesingers Film wie erwartet - um eine bitterböse bis zynische Satire auf den „American Way of Life“ in all seinen Ausprägungen. Mit besonders bösartiger Freude zerstören Schlesinger und sein Drehbuchautor Edard Clinton den Traum des US-amerikanischen Urlaubers von einem allgegenwärtigen bonbonfarbenen und stets sonnenbeschienenen Disneyland, hinter dessen Kulissen die Probleme und Nöte des Alltags zumindest vorübergehend verschwinden. Durch einen neuen Freeway werden die Bewohner des kleinen, in Florida gelegenen Ortes Ticlaw vom Touristenstrom abgeschnitten. Dabei hatten sie alle politischen Möglichkeiten inklusive Korruption ausgenutzt, eine eigene Abfahrt zu bekommen. Verärgert sorgen sie selber für eine Anbindung an die Schnellstraße und locken mit eigenwilligen Methoden die Urlauber in ihre Stadt. Sie malen ihre Häuser rosafarben an, setzen einen Elefanten auf Wasserskier und schrecken auch sonst vor keiner Schandtat zurück. Zwischendurch kümmern sich Schlesinger und Clinton noch um die Psyche der Autofahrer, um einsame Herzen, reisende Nonnen, Drogenabhängige und ein Rhinozeros auf Rädern. Wunderbar auch das Geschehen in und um den großen chaotischen Stau, den man sich in etwa vorstellen muß wie Godards Weekend, geschrieben allerdings von John Cleese und von Danny de Vito inszeniert.

In bester Exploitation-Manier wird kein Gag ausgelassen; und spätestens wenn die gierigen Kleinstädter mit Dynamit die Autobahnbrücke in die Luft jagen, schlägt der anarchische Witz der Autoren granatenmäßig ein und durch.

Zwanzig Millionen Dollar kostete das irrwitzige Spektakel, das die Amerikaner aus einsichtigen Gründen gar nicht witzig fanden und das von anderen Kinonationen entweder falsch verstanden oder gar nicht zur Kenntnis genommen wurde, weshalb die Produzenten noch heute gar nicht gern an diesen in mehrfacher Hinsicht desaströsen Film erinnert werden möchten. Investiert wurde das viele Geld vorwiegend in die zum Teil superben Spezialeffekte. Die Riege der SchauspielerInnen wäre nach heutigen Maßstäben eine absolute Topbesetzung; 1981 aber zählten die meisten noch mehr oder weniger zum zweiten Glied und waren billig zu haben.

Harald Keller