piwik no script img

Wachen auf Wolken

■ Hans Arp: „Das eine ist das andere Land: Schäl mir eine Fee“

LCB ist keine neue Droge! Zu Kopf kann einem das Kürzel dennoch steigen, wenn man anfällig ist: fürs Literarische! Und, wer einmal nach den Editionen des Literarischen Colloquiums Berlin gegriffen hat, dann nicht von ihnen lassen konnte und sie sogar sammelte, hat mittlerweile eine stattliche Serie der „LCB-Editionen“ im Schrank. Jetzt ist die Stunde, einen Strauß ins Haus Am Sandwerder, Berlin 39, zu schicken. Die Jubiläums-Ausgabe, das heißt die Nummer 100, ist auf dem Tisch.

Die „LCB-Editionen“ sind nicht das Energiebündel, das ständig danach trachtet zu expandieren, um sich tragen und ertragen zu können. Still im lauten Jahr '68 auf dem Publikationsplan erschienen, waren auch die späteren Schritte geräuschlos. Dennoch ist die Edition, die mit Grass‘ Aufsätzen Über meinen Lehrer Döblin ihren Anfang machte, keine öffentlichkeitsferne wissenschaftlich -akademische Enklave geworden. Um das Jubiläum gewohnt gesittet und nicht geschmäcklerisch zu begehen, haben die Berliner ein Auge auf Arp geworfen. Ach, Arp! Sollen die einen seufzen, die anderen stöhnen? Niemand soll dies, soll das. Auf Anhieb läßt sich nämlich feststellen, daß Arp noch nicht so ausgeschlachtet ist, wie die meisten vielleicht meinen, glauben oder wissen. Was aber hatte jeder - bis heute- von Hans/Jean Arp, dem Deutsch-Franzosen? Fast nichts!

Die Berliner haben Gregor Laschen herbeigeholt, den Lyriker, Germanisten, Arp-Anbeter, um sich das Jubiläumsheft füllen zu lassen. Der Herausgeber der Hans/Jean Arp -Ausgabe Das eine ist das andere Land: Schäl mir eine Fee bietet nichts Aufgekochtes in und aus alten Töpfen. Laschen lenkt zum ersten Mal einiges „Aus den französischen Texten von Arp“ in deutsche Lande. Er folgt mit seiner Auswahl einer Veröffentlichung, die bereits 1966 bei Gallimard, Paris, auftauchte. Nicht nur in der Bundesrepublik, wie der Herausgeber bemerkte, ist das „französischsprachige Dichtwerk“ unbeachtet geblieben. In der DDR wartet das Publikum noch immer auf den angekündigten allerersten schmalen Band mit lyrischen Arbeiten des Künstlers, den man in der DDR kaum kennt. Die eigene Person einbezogen, hat der Herausgeber zwölf namhafte Übersetzer ihre Hausaufgaben machen lassen, um das Nach-Geholte nicht nur als nachträgliche Nebensache abzuliefern. Weil die kongenialen Übersetzer die Konfrontation nicht zu scheuen brauchen, erschien die Sammlung konsequenterweise zweisprachig. Die durch die Edition ermöglichten Ergänzungen und Erweiterungen zum Arp-Werk werden sicher nicht dazu führen, daß bisherige Urteile zu Arp wieder aufgegeben oder gründlich revidiert werden müssen. Sichtbarer wird aber schon durch die gewiß nicht alleserschöpfende Ausgabe, daß das französischsprachige Dichtwerk umfänglicher und eigenständiger ist als angenommen.

Deutlicher wird zunächst die französische Linie in der Lyrik des Hans/Jean Arp, der sich des romanischen Prosagedichts bediente, das zu seiner Zeit von deutschen Kollegen wenig beachtet wurde. Ohne mit der Gebrauchslyrik Kästnerscher Art liiert zu sein, stellte Arp seine lyrischen Ver-Laut-Barungen französischer Zunge auf wie praktikable Mahn-Wachen, die auf Wolkenschiffen durch die Welt segeln. Die Sprach-Bei-Spiele des Surrealisten stecken meist voller hintergründigem Humor, so daß der Spaß am Lesen von Seite zu Seite wächst. Vier Versionen „Über die Sprache“ sind weit mehr als krampfhafte Versuche des Hans/Jean Arp, eine Identifikation zu ermöglichen, indem er durch geistige Strukturen formale und durch formale geistige Strukturen bildet. Das alles in der Hoffnung: „Vielleicht kommt ein Tag / an dem wir zu erblicken glauben / die größte Schönheit / in der Ferne“, wie es in dem Gedicht Ein Reigen heißt.

Bernd Heimberger

Hans/Jean Arp: Das eine ist das andere Land: Schäl mir eine Fee. Hrsg. von Gregor Laschen, Literarisches Colloquium Berlin, 191 Seiten, 8 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen