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Eine gigantische Völkerwanderung

Ein breitensportlicher und wirtschaftlicher Renner feiert seinen zwanzigsten Geburtstag: die Trimm-Bewegung  ■  PRESS-SCHLAG

Die Erfolgschancen der Trimmbewegung des Deutschen Sportbundes (DSB) standen denkbar ungünstig. „Die Aktion begann ohne einen Pfennig Geld, sozusagen aus dem finanziellen Nichts“, untertreibt Jürgen Palm, DSB-Referent für Breitensport, die Lage beim Startschuß zur organisierten Fitneßwelle am 16. März 1970 in Berlin. Folglich prophezeiten selbst hohe Sportfunktionäre wie DSB -Generalsekretär Karlheinz Gieseler der Aktion nur kurzes Leben. „Ich gebe ihnen höchstens fünf Jahre für die Trimmaktion“, unkte Gieseler, der von niemand Geringerem als Jesse Owens Rückendeckung erhielt. „Jeder, der mehr als 200 Meter läuft, muß verrückt sein“, steckte das Sprint-As von einst die Claims zwischen Leibesübung und sportivem Wahnsinn ab.

Nichtsdestotrotz löste die Figur „Trimmy“ mit dem erhobenen Erfolgsdaumen („Trimm Dich - Lauf mal wieder“) eine wahre Völkerwanderung im bundesdeutschen Sport aus. „Hunderttausende haben den Aufruf verstanden und sich sportlich betätigt“, jubelt Manfred von Richthofen, Präsident des Landessportbundes Berlin (LSB): Der DSB wuchs von zehn auf jetzt 21 Millionen Mitglieder, mithin rund 34 Prozent der hiesigen Gesamtbevölkerung. Über sechs Millionen gepappter Trimmy-Plakate von „Trimm Dich durch Sport“ über „Neues Laufen ohne zu schnaufen“ bis zu „Im Verein ist Sport am schönsten“ haben ihren Teil dazu beigetragen. Inzwischen, schätzt von Richthofen, seien „36 Millionen Bundesdeutsche sportlich aktiv„; vor zwanzig Jahren brachten lediglich zwölf Millionen Bürger ihren Kreislauf breitensportmäßig auf Trab.

Daß der Bereich Freizeitsport mehr ist als „ein Markt der unbegrenzten Möglichkeiten“ (Palm), belegen wirtschaftliche Daten: 25 Milliarden lassen es sich fitneßversessene BundesbürgerInnen jährlich kosten, daß sie schwitzen dürfen; davon werden drei Milliarden in Vereine und Studios getragen, der große Rest entfällt auf Sportkleidung, -gerät und touristische Trimmexkursionen. Wer will schon beim Outfit knausern, wenn alleine die Reise zum fernen Marathon oder das Bodyshaping im modernen Folterstudio immense Summen verschlingen?

„Es gibt mittlerweile 17 Unternehmen und Institutionen, die diese DSB-Aktion unterstützen“, so Jürgen Palm. Ungeachtet aller finanziellen Querverbindungen zu Handel und Industrie unterstreicht die Herrenriege des bundesdeutschen Dachverbandes die Basisarbeit durch die Vereine. „Wir vom DSB sind kein Betrieb“, versichert Palm, „die ganze Aktion baut auf eine Million Mitarbeiter in den Vereinen. Manpower ist wichtiger als Geld!“ Die private Konkurrenz in Form der ungefähr 4.000 kommerziellen Sportcenter der Bundesrepublik verlangt äußerste Wachsamkeit. Erst durch sein Versprechen gegenüber den trimmbereiten Massen „Im Verein ist Sport am schönsten“ konnte der DSB profitablen Boden gutmachen.

Just gegen diese schleichende Professionalisierung des vormals von ehrenamtlichen Vereinsmeiern geprägten Vereinssports machen einige wenige Sportwissenschaftler mobil. Sie kritisieren in erster Linie eine zunehmende Verwässerung des Begriffes Sport und fordern einen Wachstumsstopp der einträglichen Branche. Ihr verbales Muskelspiel prallt jedoch am expandierenden Markt der Eitelkeiten ab. Wo dessen Ränder zum puren Totschlagen der Freizeit liegen, weiß allerdings auch DSB-Palm nicht genau. Nur eines scheint ihm sicher: „Fernöstliche Meditation ist nicht mehr Sport.“

Gesünder als mancher Unsinn im Zeichen des Trimmy wäre intensives Nachdenken allemal. Palm gibt zu, daß es „bis heute keine exakte Möglichkeit gibt, den gesundheitlichen Nutzen der Trimmbewegung zu belegen.“ Er verweist aber mit Vorliebe auf Langzeitstudien aus den USA, „die besagen, daß Sport gesund ist“. Und wer möchte schon am westlichen Werteführer ernsthaft zweifeln?

Jürgen Schulz

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