: Tories feilen an Maggies Stuhl
■ Die Basis der britischen Konservativen will Premierministerin Thatcher zum Rücktritt bewegen
Die Popularität der britischen Premierministerin Thatcher ist durch die Einführung der Kopfsteuer auf dem Tiefpunkt angelangt. Nach der jüngsten Meinungsumfrage wünscht über die Hälfte der Befragten die Eiserne Lady sofort in Rente. Auch viele Parteigänger glauben, daß die Tories nur durch einen Wechsel an der Parteispitze einem Wahldebakel entgehen können. Und in Brüssels Europabürokratie möchte man die Bremserin ohnehin lieber heute als morgen loswerden.
Die Hiobsbotschaften für die britischen Konservativen reißen nicht ab. Nach neuesten Meinungsumfragen, die gestern veröffentlicht wurden, hat die Labour-Party ihren Vorsprung inzwischen auf 21 Prozent ausgebaut. Glaubt man den Statistiken, so können sich die Tories schon jetzt ihre Hoffnungen auf eine Wende zum Guten abschminken: Eine Regierung, die während ihrer Amtszeit um mehr als 20 Prozent zurücklag, hat bisher noch immer die darauffolgenden Wahlen verloren. Die Umfrage belegt darüber hinaus, daß Premierministerin Margaret Thatchers Popularität noch schneller sinkt als die ihrer Partei. Zwei Drittel der Befragten wünschen ihren Rücktritt noch vor den nächsten Wahlen, über die Hälfte will sie am liebsten sofort loswerden.
Besonders enttäuschend für die Tories ist die Tatsache, daß die Umfrage bereits am vergangenen Wochenende während des Höhepunkts der gewaltsamen Proteste gegen die Kopfsteuer durchgeführt wurde. Thatcher hatte gehofft, daß sie der Labour-Party die Schuld an den Krawallen in die Schuhe schieben und verlorenen Boden gutmachen könnte. Die konservative Parteiführung reagierte auf die Regierungskrise mit Aufrufen an die Hinterbänkler, die Reihen fest zu schließen und Kritik an der Premierministerin zu unterdrücken. Transportminister Cecil Parkinson, ein loyaler Gefolgsmann Thatchers, gab zwar zu, daß die Auflehnung der Hinterbänkler „eine Spur Unwohlsein und Unsicherheit“ ausdrückten, doch würde das nur der Opposition nützen. Trotzig fügte er hinzu: „Margaret wird uns in die nächsten Wahlen führen.“
Doch vor allem die konservativen Abgeordneten in den umkämpften Wahlkreisen sehen ihre Felle davonschwimmen. Ein Viertel von ihnen glaubt, daß die Tories nur durch einen Wechsel an der Parteispitze einem Wahldebakel entgehen können. Bei den 33 Nachwahlen zu den Bezirksparlamenten, die seit Anfang Februar stattgefunden haben, konnte die Labour -Party neun Sitze dazugewinnen - die meisten auf Kosten der Konservativen. Der Druck der Basis auf das einflußreiche Hinterbänklerkomitee, Thatcher zum Rücktritt zu bewegen, wächst. Ein ums andere Mal betont die Premierministerin jedoch ungefragt, daß sie „hochzufrieden“ mit ihrer Arbeit sei. Und das Kabinett, aus dem sie ihre Kritiker während ihrer Amtszeit systematisch entfernt hat, steht noch geschlossen hinter ihr. Doch die hohen Zinssätze, steigende Inflation und das bedrohliche Zahlungsdefizit rütteln an ihrem Thron. Die Massenproteste der Briten gegen die Kopfsteuer, die Anfang April in England und Wales eingeführt wird, ist für viele Tories der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt.
Thatchers Variante der Kopfsteuer führt zu einer Umverteilung der Steuerlast: Die zehn Prozent Besserverdienenden kommen in den Genuß von erheblichen Steuererleichterungen, während 90 Prozent der Bevölkerung im Durchschnitt über die Hälfte mehr als bisher zahlen müssen. Deshalb nehmen an den Demonstrationen so viele Menschen teil, die sich in ihrem Leben noch nie zu Protesten auf die Straße gewagt haben. In Bishop's Green, einer Thatcher -Hochburg, haben sich 180 der 280 Einwohner zum Steuerboykott entschlossen.
Da das alte Abgabensystem nach Hausbesitz berechnet wurde, verdoppelt sich die Zahl der Steuerpflichtigen mit Einführung der Kopfsteuer, die pro Person erhoben wird. Selbst bei reibungslosem Ablauf der Zahlungen ist der Verwaltungsablauf ein Alptraum für die Bürokratie. Da die Höhe der Steuer zwischen den einzelnen Bezirken unterschiedlich ist, muß jeder Umzug erfaßt werden. In Birmingham wurde die Zahl der Verwaltungsbeamten bereits von 250 auf 550 erhöht. Wenn sich die Beamten und die Gerichte in Zukunft auch mit Boykotteuren und Zahlungsunfähigen beschäftigen müssen, bricht der Apparat zusammen.
In Schottland, wo die Kopfsteuer bereits vor einem Jahr eingeführt wurde, mußten die Akten in den vergangenen zwölf Monaten 1,5 Millionen Mal berichtigt werden. In Glasgow sind 40 Prozent der Bevölkerung mit ihren Zahlungen im Rückstand oder haben überhaupt noch nichts bezahlt. Tommy Sheridan, der Vorsitzende der Anti-Kopfsteuer-Vereinigung, sagt: „Das beweist ohne Zweifel, daß unsere Kampagne für einen Massenboykott jeden Tag an Zulauf gewinnt.“
Der Schotte Neal Asherson, Kolumnist des 'Independent on Sunday‘, vergleicht Thatchers Steuerpolitik mit dem Vorgehen der britischen Kolonialherren in Ostafrika. Da sich die Afrikaner damals nicht freiwillig in abhängige Lohnarbeit begeben wollten, führten die Briten kurzerhand eine Kopfsteuer ein. Um sie bezahlen zu können, mußten die Afrikaner die angebotenen Jobs schließlich annehmen. Asherson wirft Thatcher vor, daß sie glaubt, „die Seelen der Menschen verändern“ zu können, indem sie die Produktionsweise ändert. Asherson: „Maggie ist die letzte Leninistin.“
Ralf Sotscheck
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