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„Zurück zum Groß-Berlin der Alliierten“

■ Interview mit dem Staats- und Völkerrechtler Günther Doeker zu den „Brandenburg„-Szenarios der Berliner SPD

taz:Wenn es nach Ost- und West-SPD geht, soll Berlin bald schon von Potsdam aus regiert werden, das dann Hauptstadt eines Landes Brandenburg oder Berlin-Brandenburg wäre. Wie realistisch ist das?

Doeker:Nicht sehr realistisch, denn da steht einiges dagegen. Es gab zwar ein Land Mark Brandenburg nach seiner Verfassung vom 6. Februar 1947. Doch da stand drin, daß die Mark Brandenburg ein Glied der DDR ist und daß alle Rechtsnormen dieser Landesverfassung von einer zukünftigen DDR-Verfassung gebrochen werden. Schließlich wurden dann ja auch die Länder abgeschafft und die Bezirke eingeführt, die Mark Brandenburg gab es seit 1952 nicht mehr. Wenn also ein Land Brandenburg oder Berlin-Brandenburg konstituiert werden soll, steht dem schon DDR-Verfassungsrecht entgegen. So müßte sich also das Land Brandenburg in einer Art Revolution wiedergründen und sich von der DDR abspalten. Oder die neu gewählte Volkskammer müßte nach den Wahlen eine Verfassungsänderung beschließen, die die Länder wieder einführt.

Und Berlin?

Da liegt das nächste Problem. Denn dieser Prozeß könnte sich dann nur auf Brandenburg beziehen und nicht auf den Großraum Berlin. Verfassungsrechtliche Bedenken aus dem Grundgesetz stehen dem entgegen, West-Berlin müßte die Bindung an den Bund auflösen. Auch völkerrechtlich ist das wegen des alliierten Status‘ problematisch. Die Volkskammer müßte also die Verfassung ändern, ein Landtag in Brandenburg gewählt werden, der dann beschließt, mit Ost- und West -Berlin zusammenzugehen.

Eine baldige gemeinsame Stadtregierung unter einem Überbürgermeister Momper scheint für die Sozialdemokraten allerdings schon gar keine Frage mehr zu sein...

Was gemacht werden kann ist folgendes: Beide Verwaltungen setzen sich zusammen und bilden Koordinierungsausschüsse, die sich unterhalb der Schwelle des Völkerrechts Gedanken über eine Rechtsangleichung machen. Hier sind besonders das Eigentumsrecht der Bundesrepublik und das EG-Recht problematisch. Mit einem vereinigten Berlin würde sich eine Flanke öffnen für riesige Warenströme, die dann ohne Außenschutzzölle in die EG fließen könnten. Das nächste Problem ist die Mitsprache der Alliierten.

Wie wäre denn eine Gesamtregierung für den Großraum Berlin am ehesten machbar?

Erstmal muß man sagen, daß wir als Voraussetzung dafür eine Vereinigung beider deutscher Staaten nicht notwendigerweise brauchen. Vorstellbar ist, daß Ost- und West-Berlin wieder den status quo ante einnehmen, das heißt zurück zur Verantwortlichkeit aller vier Alliierten über Groß-Berlin wie vor 1948. So steht es ja auch im Viermächtevertrag. Falls die Alliierten einer solchen Regelung zustimmen, wäre West-Berlin weder Teil der BRD noch Ost-Berlin Teil der DDR. Die Hauptstadt-Funktion Ost-Berlins für die DDR ist dabei unerheblich. Ich halte dies für politisch leichter machbar, weil dann die Alliierten wieder mit am Tisch sitzen. Die Allierten müßten dann allerdings noch ihr o.k. für gesamtberliner Wahlen geben. Und wenn das gelaufen ist, könnte das neue Groß-Berlin sogar sagen: wir lassen uns zur Bundesrepublik dazuschlagen, ohne daß die DDR da noch Einfluß hätte.

Interview: kotte

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