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Vom Ehren- zum Mahnmal

■ Zum 70. Jahrestag des Kapp-Putschs ist in Essen ein politischer Reiseführer erschienen, der ein paar für die SPD peinliche Geschichten erzählt

In Steele-Horst, heute ein Stadtteil von Essen, weihten im November 1934 die Nationalsozialisten mit großem Propagandaaufwand ein Ehrenmal für die Freikorpskämpfer ein, die im März 1920 die Arbeiterarmee im Ruhrgebiet blutig niedergeschlagen hatten. Einige der „Helden des Ruhrkampfes“ ('National-Zeitung‘ vom 19.10.34), in denen die Nazis ihre Vorkämpfer sahen, waren bei ihrer Ehrung selbst zugegen: die Freikorpsführer General Ritter von Epp, Major Schulz und sein Kamerad Lichtschlag. Auf ihr Konto gingen Verfolgungen, Folterungen und Morde, auf ihr Konto ging der „weiße Terror“, dem nach der militärischen Besetzung des Ruhrgebiets Hunderte von Menschen zum Opfer fielen.

Der auffällige Säulenrundbau der Nazis über dem Ruhrtal überstand die Zeiten bis 1985, die Ehrentafeln für die Freikorpskämpfer gingen verloren, die zahlreichen SpaziergängerInnen auf dem vorbeiführenden Ruhrhöhenweg glaubten, irgendein Kriegerdenkmal vor sich zu haben. Bis 1985 nach heftigen Auseinandersetzungen in Steele die Erinnerung wieder einsetzte und die Stadt Essen von Grünen und SPD angeregte Informationstafeln zusagte. Ganze vier Jahre später wurden sie montiert und bieten den Vorübergehenden jetzt Erklärungen über die wahren Umstände der Denkmalseinweihung und die Niederlage der „Roten Ruhrarmee“ im März 1920. Doch noch zum Volkstrauertag 1989 ließ die Stadt Essen einen Kranz am „Ehrenmal“ niederlegen.

Die Geschichte des Steeler-„Ehrenmals“, das inzwischen in „Mahnmal“ umgetauft wurde, ist eine von vielen in dem jetzt im Essener Klartext-Verlag zum Kapp-Putsch vor 70 Jahren erschienenen Buch Ruhrkampf 1920. Die vergessene Revolution. Und sie ist typisch für viele in dem als „politischer Reiseführer“ konzipierten Band. Mit 15 Tourenvorschlägen durchs Ruhrgebiet führen die Herausgeber, Ludger Fittkau und Angelika Schlüter, ihre LeserInnen auf die Spuren des größten bewaffneten Aufstandes in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung.

Vorgestellt wurde der Ruhrkampf-Reiseführer, den die Stadt Essen bezuschußt hat, in dieser Woche im Rahmen einer Veranstaltungsreihe zu Kapp-Putsch und Ruhrkampf. In einem knappen Kapitel erläutern die Herausgeber die Ereignisse. Auslöser für den Aufstand der Ruhrarbeiterschaft war der Kapp-Putsch in Berlin am 13. März 1920. Die sozialdemokratisch geführte Regierung floh und rief die ArbeiterInnen zu Demonstrationen und zum Generalstreik auf. Bereits am 17. März war das Intermezzo der Rechtsrebellen beendet. Doch die Arbeiterschaft ging nicht wieder zur Tagesordnung über. Im Ruhrgebiet ging dem Kapp-Putsch ein Jahr mit Streiks und erbitterten Kämpfen um die Sechs -Stunden-Schicht und höheren Lohn voraus. Immer wieder ließ der von Innenminister Noske (SPD) als kommandierender General eingesetzte Freiher von Watter Freikorpsbrigaden gegen Arbeiter marschieren. Die Bergleute verknüpften mit dem Generalstreik gegen die Putschisten politische Forderungen von der Sicherung ihrer Rechte in einer demokratischen Republik über Verstaatlichungen der Zechen bis hin zur Wiedereinführung des Rätesystems. Dafür kämpften sie.

Und deshalb setzte die sozialdemokratisch geführte Reichsregierung schließlich „auch solche Truppen gegen die Arbeiter ein, die eben noch geputscht hatten“, schreibt der Historiker Erhard Lucas in seinem Vorwort zum Ruhrkampf -Reiseführer mit Blick auf die unrühmliche Rolle der SPD, die für offizielle Erinnerungslücken und die Vernachlässigung von Gedenkstätten der Märzrevolution im SPD -untergebenen Ruhrgebiet mitverantwortlich ist. Denn die im März und April 1920 von reaktionären Freikorpsleuten an besiegten Rotarmisten und der Zivilbevölkerung verübten Massaker stellen die von SPD-Politikern gefaßten Beschlüsse zur Niederschlagung der Märzrevolution in Frage. Mit dem Blutbad an der Ruhr, so Lucas, „gingen auch alle die Vorstellungen von demokratischer und sozialistischer Erneuerung Deutschlands unter, die die Arbeiter- und Vollzugsräte in diesen drei Wochen entwickelt hatten“. Es ist ein Verdienst des Ruhrkampf-Reiseführers, das er nicht nur anschaulich an die Geschichte, sondern auch daran erinnert, warum die Geschichte vergessen wurde.

An Erhard Lucas, der 1973 das Standardwerk zur Märzrevolution veröffentlichte, und an dem Essener Historiker Ernst Schmidt haben sich die AutorInnen des Reiseführers maßgeblich orientiert. In einem eigenen Kapitel, das eine Fahrrad-Tagestour nach Duisburg, Oberhausen und Bottrop auf den Spuren der Frauen im Ruhraufstand vorschlägt, ziehen sie außerdem Theweleits Männerphantasien zur Schilderung der Freikorpsausfälle heran. Alle Touren sind mit dem Fahrrad, mit Nahverkehrsmitteln oder zu Fuß zu machen. Friedhöfe, Gedenksteine, Bahnhofsvorplätze, Zechenkolonien oder durch keinen Hinweis gekennzeichnete Orte von Kämpfen und Erschießungen zwischen Wesel, Duisburg, Wetter und Dortmund haben die AutorInnen in Begleitung von Zeitzeugen besucht und deren, häufig lebhafte Erinnerungen aufgezeichnet und durch Hintergrundinformationen, Dokumente und - allerdings mittelmäßige - zeitgenössische Fotos ergänzt. Es fehlt eine Übersichtskarte für Nicht-RuhrgebietlerInnen und gelegentlich etwas Tiefgang in diesem Ruhrkampf -Kaleidoskop.

„Ruhr-Touren“ haben neuerdings Konjunktur, zahllose Angebote sollen Gäste ins Revier ziehen, Imageverbesserung steht auf den Wunschlisten der Revierstädte ganz oben an. Der erste Baedeker über das Revier erschien 1959. Derzeit ist unter dem Titel Der Pott beim Dortmunder Grafit -Verlag ein aktueller Revierführer in Arbeit. Für alle historisch Interessierten und die, die das Ruhrgebiet von einer seiner verschwiegenen Seiten kennenlernen wollen, dürfte das Essener Projekt einen interessanten und anschaulichen Weg weisen.

Bettina Markmeyer

Ludger Fittkau und Angelika Schlüter (Hg.): Ruhrkampf 1920. Die vergessene Revolution. Ein politischer Reiseführer. Essen. Klartext-Verlag. 1990. 16.80 DM.

Veranstaltungen zum Kapp-Putsch und und zur März-Revolution finden noch bis Ende März in Essen statt.

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