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Eure Majestät, unser Zombie

■ Loyal oder subversiv? Der Königsmaler Velazquez (1599-1660) in einer überzeugenden Ausstellung in Madrid

Ulf Erdmann Ziegler

Velazquez, Velazquez...“: Spanier, die nach mehreren Stunden Schlangestehens im kalten Wind des frühen März müde und verfroren den ersten von neun Sälen dieser Ausstellung betreten, flüstern den Namen des Malers, ihn wiederholend, wie um sich seiner Gegenwart zu versichern.

Sevilla, 1619. Der Dreißigjährige Krieg hat schon begonnen, aber Velazquez - jetzt zwanzig Jahre alt - wird diesen Krieg in seinem Leben in etwa wahrnehmen wie eine Folge mittlerer Börsenkräche. Als Adliger (und auch das wird später noch bezweifelt werden) ohne nennenswerten Besitz ist ein Diego Velazquez am Fuß der Pyramide des aristokratischen Spaniens, dessen Blütezeit zu Ende geht. Heute gibt es viele Mittel, dem Fluch der Namenlosigkeit zu entgehen: Rock und Sport, Kunst und Geschäfte. Der Königsweg des 17. Jahrhunderts ist die Malerei.

Ohne zu zögern beginnt Velazquez dort, wo er eine Chance hat: ganz unten. Er malt bodegones, unverfänglich volkstümliche Interieurs und Szenen. Es sind Bilder, deren leuchtende Intensität auch jetzt noch, wo sich die Besucher durch den ersten Saal schieben, geheimnisvoll bleibt. Die Abendmahlsszene in Emmaus zeigt Velazquez von der Küche aus. „Die Mulattin“ (so wurde das Bild später mal genannt) verharrt in einer Geste der Aufmerksamkeit über dem delikat leuchtenden Keramikgeschirr, alles abgewaschen und auf den Kopf gestellt. Ihr Gesicht ist nach vorn gebeugt (ähnlich dem Tracy-Chapman-Porträt von Herb Ritts), in Partien fängt sich das milde Abendlicht, das von links einfällt. Die Szene mit Jesus und den Jüngern erscheint klein in einem Mauerdurchbruch, hell und eher grob skizziert, quasi als Bild im Bild.

Sein Interesse für das Alltägliche ist Velazquez schon damals, und dann wieder im 20. Jahrhundert zugute gehalten worden. Aber Velazquez interessiert sich für das Gewöhnliche und Niedere nicht wie Shakespeare oder Brecht, es ist kein ästhetisches Konzept. Welchen Namenlosen ein Maler Diego Velazquez aus Sevilla, mit achtzehn Jahren (ausgebildeter) Meister seiner Kunst und schon lokale Legende, auch immer malt: er oder sie ist immer Modell seines brillanten Handwerks.

Nie habe jemand den König Felipe den Vierten so lebensecht gemalt wie Velazquez, heißt es 1623 in Madrid. Wie aber hat Velazquez die Möglichkeit bekommen, den König zu malen? Ein Conde-Duque de Olivares, selbst aus Sevilla stammend, hatte von der Kunst des Velazquez gehört, seine Modelle so zu malen, daß seine Landsleute das Küchenmädchen als Küchenmädchen und den Wasserverkäufer als Wasserverkäufer ganz und gar zu erkennen meinten. Nach Madrid beordert, malt Velazquez einen Höfling, den der König zumindest vom Sehen kennt. Dieses Bild wird ihm, dem achtzehnjährigen König, gezeigt. So was will der König auch. Als dann feststeht, daß die Bildermacht des Diego Velazquez aus Sevilla vor dem Glanz des spanischen Königs nicht versagt, wird er angestellt. Velazquez ist Hofmaler, mit 24 Jahren, und Exklusivporträtist des Königs dazu.

Im dritten Saal, sich an der Rückseite des Prados bewegend, findet man das Porträt des designierten Thronfolgers Baltasar Carlos als Zweijährigem (er wird sterben, wenn er sieben ist). Ihm beigegeben ist ein Zwerg. Der Zwerg hat noch jenen milden Schatten im Gesicht, der auf wirkliches Licht schließen läßt; ein Schatten, der ihm - wie der „Mulattin“ des ganz frühen Bildes - irdische Schwere und erotische Anziehungskraft verleiht.

Ganz anders erscheint der kleine Prinz Baltasar Carlos, dessen Kindergesicht komplett erhellt ist, perfekt ausgeleuchtet wie ein Porzellanobjekt im Katalog. Sein reich geschmücktes Kleid zeigt ihn in seiner Funktion. Baltasar Carlos ist nun nicht mehr Modell der Kunst des Velazquez, sondern Modell seiner leiblichen Existenz. Bilder wie diese wurden an jene alliierten Königshäuser Europas versandt, an denen potentielle und erwünschte Partner der gleichen Generation heranwuchsen. (Im Prado werden 79 der erhaltenen Bilder des Velazquez gezeigt. Einige wichtige Bilder aus Wien konnten allerdings wegen ihres schlechten Zustandes nicht ausgeliehen werden, so auch das Porträt Papst Innozenz X. oder das Porträt des Prinzen Felipe Prospero.)

Velazquez ist nun nur noch part-time-Maler. Er avanciert am Hof des um wenige Jahre jüngeren Felipe zum obersten Apparatschik in Sachen Kunst und Dekoration. Er berät den König im Ankauf und in der Plazierung von Bildern, in der Ausstattung der Gemächer. Von einer ersten Italienreise, unternommen mit 30 Jahren, bringt er die Bekanntschaft mit den noch frischen Bildern der Renaissance zurück; auf einer zweiten Italienreise, mit 50, läßt er Abgüsse antiker Skulpturen machen und kauft Gemälde ein, Tintorettos und Tizianos, zum Beispiel. Sein Lehrer in Sevilla, Francisco Pacheco, dessen Tochter Juana de Miranda Velazquez Ehefrau ist, war noch Kunstberater der Inquisition.

Die nähere Bekanntschaft mit den italienischen Traditionen, individuellen Techniken und Obsessionen, dringt ein in die Nischen der eigenen, schmaleren Tradition, die in Spanien beherrscht ist von der ekstatischen Religiosität El Grecos und einer aufkommenden Begeisterung für volkstümliche Charaktere (Murillo). Velazquez entdeckt den männlichen Akt und versucht sich an Gruppen, die er in Szenen von großer Dramatik aufbaut: in einer Schmiede erfährt Vulcan vom Ehebruch seiner Frau Venus (mit dem Kriegsgott Mars). Oder: Engel stützen den offensichtlich im Zuge seiner „Versuchung“ ohnmächtig gewordenen Thomas. Dieser Saal des Prados macht, durch das Tages-Oberlicht, den Eindruck einer Lichtung; und der Rundgänger bemerkt, daß es hier keine zweite Tür gibt. Eine Sackgasse. Daß Ironie zu den Mitteln der Ausstellungsmacher gehört, ahnt der Besucher, wenn er auf dem Rückweg entdeckt, daß das laszive Besäufnis des Bacchus und seines Gefolges einem höchst feierlichen Kreuzigungsbild gegenüber gehängt ist.

Der zweite Trakt der Madrider Ausstellung, dessen letzter Saal der der Las Meninas sein wird, beginnt mit glücklosen religiösen Motiven, teils unter dem Einfluß des älteren Rubens entstanden, den Velazquez sehr bewundert und auch gekannt hat. Kaum ist noch das spezifische Interesse des Malers an seinen Motiven zu erkennen. Letztlich werden jene Figuren seine „Ikonographie“ begründen, deren vergängliche Wichtigkeit er überleben wird: Königshaus, bester Adel, höchster Klerus. Felipe in Rüstung, Felipe als Jäger, Felipe in schwarzer Tracht. Dutzendfach kehrt es wieder, das bleiche Gesicht Felipe des Vierten, eine weiße Bohne, auf die jemand getreten ist, eine breiter kurzer Wulst als Karikatur der Unterlippe; die fettige blonde Matte, die farblos dunklen Augen, denen man die Sorge beginnt anzusehen, daß das Leben doch nicht nur aus Hirschjagd und Kunstkauf bestehen könnte. Er hat um die Mitte der vierziger Jahre ein paar Schlachten im eigenen Land verloren, sein Selbstvertrauen, seinen Sohn, seine Frau. Die riesigen Reiterporträts im letzten Saal beschwören die einstige Pracht. In ihrer Wucht und Farbigkeit springen sie einen an wie die monströsen Kitschobjekte von Jeff Koons.

Daß Felipe dann noch einmal geheiratet hat - nämlich jene Mariana de Austria, die eigentlich seinem Sohn Baltasar Carlos zugedacht gewesen war (und deren Onkel Felipe ist) begründet die spezielle Wendung, die das Spätwerk des Velazquez nimmt. Es ist das Bild des Kindes, in dem sich nun nicht mehr die Hoffnung auf Rettung Spaniens als Weltmacht, sondern die Fixierung des Niedergangs im Dekor, im Ritual, in der Spirale des Inzests niederschlägt: die Prinzessin Margarita, vielleicht acht oder neun Jahre alt, eine Puppe der Monarchie, der rote und graue Reifrock breiter als sie groß ist, und doch blicken ihre Glubschaugen durch die Jahrhunderte herab auf die vor ihr erschauernden Kinder der Demokratie, ein paar Tausend am Tag. Der Schatten ihres Rocks bindet sie an die Erde wie die Keramik in den ersten Meisterbildern des Velazquez, aber das Gesicht ist seiner irdischen Zugehörigkeit beraubt; erst unter dem Blitzlicht der Diane Arbus werden die Zombies wieder so sichtbar.

Friedell hat von der „schon fast pathologischen Loyalität“ der Spanier gesprochen, und tatsächlich ist Velazquez‘ Bürokratenkarriere die des Aufsteigers, der sich ohne Zögern unter die Fittiche der (bröckelnden) Macht begibt. Dennoch ist es nicht allein die Meisterschaft, was an Velazquez zu bewundern ist. Selbst in der Idealisierung der Gestalten des Königshauses porträtiert er ihre Fremdheit in der Welt, ihre Melancholie, die Unausweichlichkeit ihres Niedergangs. Velazquez ist zeitgenössisch loyal und dennoch latent subversiv.

Er malt, fünf Jahre vor seinem Tod, das Schlüsselbild des Endes jenes Systems, das ihn getragen hat, die (später so genannten) Las Meninas (Die Hoffräulein). Hier montiert er die schaurige Puppe Margarita in einen Raum, der das Atelier des Velazquez im königlichen Palast darstellt (es ist übrigens das ehemalige Gemach des 25 Jahre zuvor gestorbenen Baltasar Carlos). Auch hier stellt der Schatten des Reifrocks die Prinzessin auf die Erde wie ein Gefäß aus den Küchen Sevillas. Sie ist umgeben von Hoffräuleins, Höflingen und dem Maler selbst, die alle einem anderen Schauplatz zugewandt sind, der vor dem Bild existieren muß und auf dem sich nun (nicht mehr im Palast, sondern im Museum) die Kunsttouristen des ausgehenden 20. Jahrhunderts tummeln.

Das Motiv des Bildes im Bild - in Sevilla am Mauerdurchbruch erprobt - hat Velazquez hier zur extremen Lösung gesteigert: im leuchtenden Spiegel an der Rückwand des Ateliers erscheint das Königspaar (der alternde Felipe mit der jungen Mariana de Austria). Folglich stände das Königspaar vor dem Bild, und auf dieses imaginäre Paar richtet sich die Aufmerksamkeit des Malers-im-Bild. Es ist jedoch nicht nur der unsichtbare, symbolische Platz des Königs, sondern auch der historische Platz des Malers der Las Meninas. So tritt das historische Subjekt des Malers an den Platz des Königs. Der Betrachter wiederum leiht sich diesen Platz vom Künstler: solange er schaut.

Velazquez. Prado, Madrid. Bis zum 31. März 1990. Katalog, 470 Seiten, ca. 56 Mark

Literatur: Michel Foucault, Die Hoffräulein. In: Die Ordnung der Dinge. Frankfurt 1971

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