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Die Dunkelmänner der Macht brüten über

Die DKP hat abgewirtschaftet, der Stasi steht vor der völligen Auflösung: die bundesdeutschen Verfassungsschützer in einer tiefen Legitimationskrise / Jetzt  ■  Von Jürgen Gottschlich

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe, wenngleich die Wirkung gegenüber der Öffentlichkeit geschickt getarnt wurde. Als Bremens Innenminister Peter Sakuth am 19.Februar mitteilte, das Amt für Verfassungsschutz im kleinsten Land der Republik werde um ein Drittel seiner bisherigen Kapazitäten reduziert, fühlten sich Verfassungsschützer landauf, landab verraten und verkauft. Die Angst geht um in einer Sparte, die bislang eher gewohnt war, selbst Angst zu verbreiten.

Die Dunkelmänner der Macht fürchten um ihre Zukunft. Seit die Bevölkerung der DDR die Stasi-Zentrale stürmte, Bürgerkomitees in den einstmals heiligsten Hallen der Macht aus- und eingehen und Woche für Woche den neuesten Stand der Entlassungen des Stasi-Personals verkünden, sehen sich auch die bundesdeutschen Verfassungsschützer auf breiter Front infrage gestellt. Nach zwanzig Jahren verläßlichen Zuwachses an Personal, Geld und Einfluß wird plötzlich weit über das linke Spektrum hinaus die Frage laut: Wofür brauchen wir noch einen Verfassungsschutz?

Ungeübt in der öffentlichen Auseinandersetzung um Sinn und Unsinn ihrer Arbeit, klingen die Verteidigungsstrategien entsprechend dissonant. Hessens oberster Verfassungsschützer Günther Scheicher möchte die Diskussion am liebsten durch Nichtbefassung erledigen. „Wenn sie einen Juwelier fragen, ob die Damen Schmuck tragen sollen, wird der natürlich sagen: Die sollen viel Schmuck tragen. Sie können von mir nicht erwarten, daß ich sage, wir brauchen keinen Verfassungsschutz mehr.“ Scheicher, so erklärte er der taz, hält es für viel zu früh, „sich grundlegende, fast philosophische Gedanken zu machen“.

Wundersame Vermehrung von DDR-Agenten

Daran hat auch sein Hamburger Kollege Christian Lochte kein Interesse. Der Pragmatiker von der Elbe hält sich an sein bewährtes Prinzip, „Wissen ist Macht“, und kontert die Forderungen nach Einschränkungen der Schnüffelbehörden erst einmal mit lageangepaßten Bedrohungsanalysen.

In verschiedenen Statements der letzten Wochen schraubte Lochte die Anzahl der nach wie vor aktiven DDR-Agenten in der Bundesrepublik von erst 2.000 bis auf rund 5.000 Männer und Frauen. Die wundersame Vermehrung von Agenten in einer Phase, in der die Agentenführer in den Tagebau abkommandiert werden, erklärt der quicke Hamburger mit Erkenntnissen, die sein Amt von Überläufern „abgeschöpft“ habe. Als Beleg, daß diese Bedrohung nicht notwendigerweise mit der Existenz der DDR verschwindet, verweisen Verfassungsschützer einfach ein bißchen weiter nach Osten. Der KGB, so Lochte und andere, sei längst dabei, die Netze des MfS zu übernehmen.

Zur Unterstützung dieser These dient Lochte nicht zuletzt der derzeitige Moskau-Aufenthalt des Ex-Spionagechefs der DDR, Markus Wolf. Aus welchen Quellen auch immer will Lochte wissen, daß Wolf keineswegs an einem Buch arbeitet, vielmehr dort „regelrechte Verhandlungen führt, um Teile der Spionagezentrale des Staatssicherheitsdienstes an den KGB zu übergeben“. Der wundeste Punkt in der Argumentation der Ämter ist zweifellos der „Verlust der DKP“, beziehungsweise der SEW in West-Berlin. Aus Sicht des Verfassungsschutzes stellte die Mies-Truppe jahrzehntelang die ärgste Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung dar, und nun soll die Fast-Auflösung der Partei der Arbeiterklasse für den bundesdeutschen Verfassungsschutz zur Nebensächlichkeit uminterpretiert werden.

Hoffen auf eine neue marxistische Partei

„Wir bleiben da mißtrauisch“, ist die Devise des Frankfurters Scheicher. „Wir sagen uns, wer sich bisher der DKP verschrieben hat, mit allen Nachteilen, die das für ihn mitbrachte, der schmeißt seine Überzeugung nicht deswegen in die Ecke, weil er sich von seinem Parteivorstand betrogen fühlt. Solange die unsere Staats- und Gesellschaftsordnung kippen wollen, müssen wir denen natürlich auch die Treue halten.“

Auch sein Berliner Kollege Annuseck, erst seit wenigen Wochen als Leiter der skandalbefrachteten Behörde an der Clay-Allee im Amt, möchte sich der optimistischen Bremer Auffassung nicht anschließen. Annuseck zur taz: „Die Mitglieder haben zum Teil große Anstrengungen unternommen, um der Partei ein Fundament zu erhalten. Im Zuge der Vereinigung der beiden deutschen Staaten könnte man daran denken, daß sich PDS und DKP/SEW zu einer marxistisch orientierten radikal-linken Partei entwickeln, die sich auch für nicht-orthodoxe Kommunisten öffnet.“

Wo Annuseck noch offen lassen möchte, ob eine solche Entwicklung dem Verfassungsschutz zu einer neuen Konjunktur verhelfen könnte, hat der bayrische Innenstaatssekretär Beckstein die deutschlandweite PDS bereits fest im Visier: „Ein klarer Fall für den Verfassungsschutz.“ Nicht zuletzt solche Äußerungen schüren natürlich in der DDR das Mißtrauen, der bundesdeutsche Verfassungsschutz könne sich über kurz oder lang auch für die von der Stasi hinterlassenen Akten interessieren.

Wem die Gefahr von Osten partout nicht mehr einleuchten will, kann sich bei den beamteten Kämpfern für die Verfassung allerdings auch eine andere Bedrohungsanalyse abholen. Die Posse um die geheimdienstliche Ausforschung der „Republikaner“ geriet in den letzten Monaten noch voll in das neue Arbeitsbeschaffungsprogramm einiger Landesämter. An der Spitze Nordrhein-Westfalen, dort hatte und hat noch immer die DKP ihre Zentrale, über Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein wird die Gefahr von rechts neu bewertet.

Während NRW und Bremen immerhin schon vor dem „Verlust der DKP“ für die „Republikaner„-Beobachtung plädierten, schwenkte Hamburg erst in den letzten zwei Monaten um. Umschichtung der personellen Kapazitäten, heißt die Zauberformel, die „schmerzhafte Einschnitte“ verhindern soll. „Es wird unter den Fachleuten bundesweit nicht von der Hand gewiesen“, so Annuseck, „daß der Rechtsextremismus, begünstigt durch die nationale Entwicklung, zunehmen kann.“ Nachdenklichere Mitarbeiter im Verfassungsschutz machen allerdings keinen Hehl daraus, daß sie die von ihren Chefs vorgetragenen Existenzsicherungsgründe für nicht sehr überzeugend halten. Selbst Amtsleiter Annuseck räumt ein, daß der Verfassungsschutz sich in einer Situation befindet, „die man mit Routinemitteln nicht mehr richtig erfaßt. Wir müssen über den gesetzlichen Auftrag nachdenken und uns darüber Gedanken machen, wie sich unsere Tätigkeiten in ihrer Zielrichtung und ihrem Umfang in den nächsten Jahren verändern werden.“

Die in der ÖTV organisierten Verfassungsschützer haben da bereits vorgedacht. Vor zwei Jahren gingen sie mit einem Thesenpapier an die Öffentlichkeit, in dem sie die Abschaffung des Geheimdienstes Verfassungsschutz zugunsten eines im wesentlichen offen arbeitenden Nachrichtendienstes fordern, dessen wesentliche Aufgabe in „Politikberatung“ bestehen soll. Dabei wurde auch überlegt, diesen Nachrichtendienst ganz aus dem Einflußbereich von Polizei und Innenministerien zu entfernen und dem Justizministerium zu unterstellen.

Vor allem die Sammelei personenbezogener Daten, so die ÖTV -ler, müsse endlich abgeschafft werden, damit der Nachrichtendienst sich darauf konzentrieren könne, Trends und Entwicklungen aufzuspüren, auf die dann rechtzeitig mit politischen Mitteln reagiert werden könnte. Wenn einer solcher Dienst einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle unterliege, sei auch der Gefahr von „Fehlentwicklungen“, wie die Skandale der letzten Jahre euphemistisch genannt werden, genügend vorgebaut.

Alle einig: Bloß kein neuer Geheimdienst

Diese ursprünglich in weiten Kreisen der Verfassungsschützer als völlig abwegig belächelten Vorschläge gewinnen plötzlich eine ganz andere Aktualität. Die Legitimationskrise der Geheimdienste, vor allem aber die erwartete massive Ablehnung der DDR-Bevölkerung gegen eine Stasi in neuem Gewand, verlangen dringend nach einer akzeptablen Umorientierung. Daß die Ausweitung des Verfassungsschutzes auf jetziges DDR-Territorium nicht einfach wird, hat die letzte Sitzung am Runden Tisch in Ost-Berlin noch einmal deutlich gemacht. Alle Parteien sind sich einig, daß sie keinen neuen Geheimdienst wollen. Mißtrauisch berichten Bürgerkomitees von ehemaligen Stasi-Leuten, die sich bereits bundesdeutschen Geheimdiensten angedient haben. Mitarbeiter der Sicherheitsgruppe am Runden Tisch sprachen gegenüber der taz von 600 Überläufern.

Trotz Dementis aus der Bundesrepublik beharrte beispielsweise das Erfurter Bürgerkomitee auf der Richtigkeit seiner Information, der hessische Verfassungsschutz würde Ex-Stasi-Offiziere einkaufen und bis zu 50.000 D-Mark „Begrüßungsgeld“ zahlen. Gegenüber dem Hessischen Rundfunk berichtete das Mitglied des Neuen Forums Mattias Büchner, er wisse von mehreren Stasi-Leuten, die beim Verfassungsschutz gelandet seien. Büchner: „Auch hier werden marktwirtschaftliche Prinzipien durchgesetzt, denn es erscheint ja sehr ökonomisch, daß die Offiziere, die uns früher hier flächendeckend bearbeitet haben, uns in Zukunft, im Namen anderer Dienste, wieder flächendeckend bearbeiten könnten.“

Berlins oberster Verfassungsschützer versucht solchen Befürchtungen entgegenzutreten. Annuseck: „Eine Entscheidung der DDR-Bevölkerung gegen einen Verfassungsschutz würde ich selbstverständlich akzeptieren.“ Annuseck, wie auch andere Verfassungsschützer, versäumt allerdings nicht, darauf hinzuweisen, daß die offizielle Abschaffung eines Geheimdienstes durchaus keine Gewähr dafür bietet, daß der Staat nicht doch geheimdienstliche Mittel einsetzen würde. „Ich hätte und habe Vorbehalte gegen Vorstellungen, die meinen, man käme ohne solche Instrumente aus. Ich halte das für etwas naiv.

Man muß sich mit der Frage auseinandersetzen, ob man einen Verfassungsschutz unserer Prägung - durch Verfassungsschutz -Ausschüsse und parlamentarische Kontrollkommissionen kontrolliert - haben will oder eine Polizei, die auch auf dem politischen Extremismussektor mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitet.“

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