FAMILIENPORNOS

■ „Liebespaare“ zeitgenössischer Künstlerinnen im Körnerpark Neukölln

Ein Stuhl mit nur zwei Beinen kippt alleine um. Zwei zweibeinige Stühle dagegen, mit den Rückenlehnen aneinandergelehnt, bilden erstens ein Kunstobjekt und zweitens eine Notgemeinschaft. Durchgesessen und farbverschmiert, zusammengerückt in ihrer Schäbigkeit, halten sie die immer mehr zu Armen gewordenen abgesägten Stuhlbeine, als traurige Zeugen der Zerstörung der ursprünglichen Autonomie der stolzen Funktionseinheit Stuhl sittsam gekreuzt im Schoß. Angela Kolters „Paar“ hat mit den Kugelmenschen des Aristophanes zwar die Zahl der Beine und hilfsmäßigen Arme gemeinsam, doch eine ursprüngliche und glückliche Einheit bilden die beiden Stühle dennoch nicht. Aristophanes beschrieb (in Platons Gastmahl) den Kugelmenschen vor seiner gewaltsamen Trennung in zwei sich sehnsuchtsvoll Suchende: „Damals war die ganze Gestalt jedes Menschen rund, so daß Rücken und Flanken im Kreis standen, er hatte vier Hände und ebensoviele Beine und zwei Gesichter auf kreisrundem Nacken, ganz gleiche. Und zu den zwei gegenübergestellten Gesichtern nur einen Kopf und vier Ohren und zwei Schamteile und alles andere, wie man es sich hiernach vorstellen kann.“ Erst Zeus, der die Kugelnden zur Strafe für ihre Übermütigkeit wie „Birnen“ in zwei Hälften zerschneiden ließ, brachte die Liebe zwischen die beiden. Bei nochmaligem Verstoß gegen seinen Willen drohte er die Menschen sogar zu Einbeinigen zu zerschneiden.

Als solch einbeinig Humpelnde und in ihrer Autonomie Kastrierte erscheinen die Liebenden nicht nur in Kolters Paar, sondern auch in den verstümmelten und zu Doppelwesen zusammen-gesetzten Skulpturen von Susanne Wehland und in einem dreibeinigen Torso Ludmilla Seefried-Matejkovas, die die sich Umarmenden mit je einer halben Vorder- und einer ganzen Rückseite zu einer schmerzhaften und unbeholfenen Einheit verschmilzt.

Von 28 Künstlerinnen suchte die Hamburger Galeristin Waltraut Schäfer Liebespaare zusammen, um den Anspruch der Alleinherrschaft der Männer in der Domäne erotischer Kunst aufzubrechen. Dabei hielt sie an einer narrativen und illustrativen Kunst fest, die die Stadien einer Liebesbeziehung im Bild thematisiert, nicht aber den Akt des Kunstmachens selbst auf seinen libidinösen Ursprung hin untersucht. Dennoch: Die „Liebespaare“, die schon in München und im Frauenmuseum Bonn ausgestellt wurden, haben immerhin beträchtlichen Unterhaltungswert. Während andere Themenausstellungen oft den Zerfall in die Beliebigkeit nur notdürftig mit dem berüchtigten roten Faden flicken, bleibt die Liebe eine sichere Nummer. Da stürmen die aufgeweckten Sprößlinge ebenso neugierig durch wie ihre griemelnden Eltern. Pornographie für die ganze Familie. Sogar Praktisches gibt es zu entdecken wie etwa die Skulptur „Liebespaar III“ der norwegischen Designerin Ingrid E. Ljosland: in eine weibliche Figur, die zu einem dreieckigen Gestell reduziert ist, schiebt sich als Abbreviatur des Mannes ein hoher Phallus mit angehängtem Glöckchen, welches bei intimem Bedarf einfach zu läuten ist.

Die sonnenbebrillte Amazone der Malerin Natalie Friedinger steht auf dem sich müde reckenden Mann, als würde sie ein Surfbrett reiten. Verwegen die Geste der Eroberung, modisch verwischt der Pinselstrich. Überhaupt zieht sich die Spur der aller intimen Leidenschaft schon immer zugetanen wilden Malerei durch das großformatige Getümmel der Leiber. Irmingard Jeserich dagegen übt eine altertümelnde Kunst der Verwebung von Text und Bild. In dem Dreiklang des sakralen Farbkanons gold, blau und rot stilisiert sie den Liebesakt zur göttlichen Offenbarung. Sie preßt die Liebesakrobatik, die das „Hohe Lied“ und lateinische Texte illustriert, in ein fein ziseliertes Ornament. Kitschige Pracht und Detailreichtum verführen dazu, die Miniaturszenen, die von üppig aufblühenden Geschlechtsteilen umrankt sind, mit der Lupe ganz genau zu studieren.

Von der gewaltsamen und ohne Rücksichten auf die Lüste der Frau genommenen Befriedigung des Mannes erzählt Bruni Regenbogen in „Püppchen“: die von rot-grünen Farbkontrasten fast zersprengte Figur des Mannes, der das armgroße Püppchen auf seinen geladenen Phallus zubewegt, hält eine schwarze Kontur nur mühsam zusammen. Ebenso wie das Püppchen scheint er selbst nur eine flache Pappfigur zu sein, die automatisch wie ein Hampelmann mit den Gliedern klappert. In Moni von Rheinbergs „Ende einer Liebe“ wird die Vergewaltigung zum lachhaften Schauermärchen: gleich in vier Phasen, wie in einem Zeichentrick, hat sie den mit der Zunge hechelnden Kopf des Mannes gemalt, der sich mit dem angespitzten Schwanz in der Hand auf die niedergeworfene Frau stürzt. In agressivem rosa leuchtet sein Arsch zwischen Anzugjacke und heruntergelassener Hose. In den Hintergrund des Bildes blendet die Malerin eine nächtliche Straßenszene mit gekippten Laternenpfählen ein, mit der sie deutlich das „Lustmörder„-Motiv der Malerei der zwanziger Jahre zitiert. Besonders George Grosz, der sein Selbstportrait in das Bild des Lustmörders einfließen ließ, thematisierte die männliche zerstörerische Gewalt zugleich als Potenz, die den konventionellen Bildraum aufsprengte. Doch eine ästhetische Revolution findet in diesen „Liebespaaren“ nicht statt.

Katrin Bettina Müller

„Liebespaare“ - Bilder, Objekte, Zeichnungen, Skulpturen zeitgenössischer Künstlerinnen in der Galerie im Körnerpark Neukölln, bis 6.Mai.