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„Als ob sie zuhauen dürften, wenn man illegal ist“

Italiens neue Immigrationsgesetze greifen - mit katastrophalen gesellschaftlichen Folgen / Florenz übernimmt die Vorreiterrolle: „Illegale“ Ausländerinnen aus Nicht-EG-Ländern werden aufgegriffen und sofort in Abschiebehaft gesteckt  ■  Aus Florenz Werner Raith

„Wie oft hat diese Stadt nicht schon die Vorreiterrolle übernommen“, erkannte schon zur Jahrhundertwende Robert Davodsohn, der berühmteste Chronist der Stadt am Arno: In Florenz stand die Wiege des modernen Kapitalismus. Hier findet sich eine bürgerliche Verfassung schon Mitte des 13. Jahrhunderts und, 1289, gar die weltweit erste Erklärung der Menschenrechte. 1865, als Rom noch lange der Reichseinigung Widerstand leistete, wurde Florenz provisorischer Regierungssitz. Freilich galt die Pilotrolle auch im Negativen - in Florenz entartete das Bürgertum zuallererst zur Diktatur der Bankiers, hier loderten Scheiterhaufen für Dissidenten am schnellsten, wurden proletarische Regierungsversuche in Blutbädern ersäuft. Doch wie auch immer - „stets, wenn sich ein Weg als zukunftsträchtig erwies“, so Davidsohn, „nahmen andere, Rom oder Mailand oder gar London und Paris, der Stadt ihre Spitzenrolle weg und heimsten den Ruhm für die Entwicklung in der Geschichte ein.“ Sollte das weiterhin gelten, dann steht Italien und wohl auch Europa, einiges bevor: Diesmal hat die Vorreiterstadt Florenz „eine besonders widerwärtige“ Pilotrolle übernommen, wie sich Grüne, Radikale und Kommunisten erregen: Die 1987 so prunkvoll gefeierte „Kulturhauptstadt Europas“ hat es übernommen, die neuen ImmigrantInnen-Gesetze Italiens „mit der größtmöglichen Brutalität durchzuexerzieren“ - so der Plakattext der StudentInnenbewegung „la pantera siamo noi“. Nachdem vorige Woche die Frist zur Selbstdenunziation illegal im Lande weilender Nicht-EG-AusländerInnen abgelaufen war, durchkämmt die Polizei systematisch Viertel um Viertel nach „Marocchini“, ImmigrantInnen aus Marokko, woher die ersten Strandhändler in den sechziger Jahren gekommen waren. Wer „seine Dokumente nicht in Ordnung hat“, so einer der Exekutivbeamten, „den müssen wir sofort der Ausweisung zuführen“. Das neue Gesetz läßt dagegen zwar einen Widerspruch vor dem Verwaltungsgericht zu - doch bis zu dessen Behandlung wandern die Ausländer erstmal in Abschiebehaft. Mehrere hundert Einlieferungen verzeichneten die Behörden bereits nach weniger als einer Stunde Polizei -Aktivität. „Der Anfang ihrer Kriminalisierung ist damit gemacht“, empört sich die kommunistische Parteizeitung 'l'Unita‘, die noch am Samstag einen Leitartikel des venezianischen Bürgermeisteraspiranten und Philosophen Massimo Cacciari mit dem beruhigenden Titel „Schwarze: Keine Polizei wird Euch verhaften“ gedruckt hatte. Doch tags danach war es in Florenz soweit - den Kommunisten, die in der Stadt zusammen mit den Sozialisten regieren, blieb nur der Auszug aus der Koalition. Das hat zwar den von den Sozialisten gestellten und für die Ausweisungsanordnungen verantwortlichen Bürgermeister Giorgio Morales zum Rücktritt gezwungen. Doch da sich keine anderweitige Allianz ergibt und im Mai sowieso Kommunalwahlen stattfinden, bleibt der Hardliner Morales mit seinen sozialistischen Drauflosdreschern im Amt.

Dabei hatte das neue ImmigrantInnengesetz die Zustimmung nahezu aller demokratischen Parteien gefunden: Weil es den Einwanderern eine Amnestie verspricht, wenn sie sich selbst melden und zudem auch Pensions- und Krankenkassenansprüche, ja sogar die Zuweisung von Wohnungen vorschreibt, schien es den meisten Parlamentariern, auch Grünen und Kommunisten, ein guter Weg, die nahezu 950.000 Illegalen vor der grenzenlosen Ausbeutung in Steinbrüchen, auf den Feldern und Fischkuttern zu schützen. Böse hatten die Sozialisten, die Autoren des Gesetzes, die warnenden Republikaner (industrienah - sie haben nichts mit unseren Reps gemein, d.Red.) in die Nähe der Faschisten gerückt, weil sie obwohl selbst Regierungspartei - mit Nein gestimmt und vor massiven sozialen Spannungen gewarnt hatten. Daß den Zuwanderern die ohnehin raren Wohnungen zugewiesen werden sollen, so argumentierte der PRI-Vorsitzende Giorgio La Malfa, werde ebenso zu massiven Übergriffen gegen AusländerInnen führen wie die summarische Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen für schon vorhandene ImmigrantInnen. Sie eregten, so La Malfa, speziell in den TouristInnenzentren sowieso schon seit Jahren den Konkurrenzneid der heimischen Geschäftsleute. In den Badeorten der Adria ebenso wie am Golf von Neapel hatte es bereits Hunderte von schweren Angriffen gegen „Marocchi“, teils mit Todesfolge, gegeben. In Mailand, Turin, Verona oder Genua mußte die angebliche „Durchseuchung“ der Zureisenden mit Aids oder die ihnen unterstellte unbelegte Tätigkeit als Drogendealer als Grund für die Aufstellung bewaffneter „Selbsthilfe„-Kommandos herhalten. Während des Faschings wurden in Florenz ambulante Händler krankenhausreif geschlagen.

Absurderweise solte die nun von der Florentiner Stadtreinigung ausgerufene „harte Linie“ gegen ausländische ArbeiterInnen just dem Ziel dienen, „den Bürgern zu zeigen, daß wir das Phänomen der Immigration im Griff haben“, wie Bürgermeister Morales posaunte. Seine Mitarbeiter streuten als eine Art Klartext dazu, daß wir „den Schwarzen ihre Arbeitsbedingungen so stark wie nur möglich erschweren werden“. Doch selbst wenn man dem Stadtoberhaupt abnimmt, daß er damit eine Domestizierung des Bürgertums im Sinne führt - bewirkt hat er das genaue Gegenteil: Nun fühlen sich die Knüppel- und Dolchgruppen erst recht ermutigt, auf alles loszugehen, was nicht hinreichend helle Hautfarbe vorweist. Auf die Frage, warum sie die Schlägerbanden nicht stellen, antwortet ein Polizeioffizier, und dies ganz und gar nicht ironisch: „Können wir derzeit nicht, weil wir alle im Einsatz bei Razzien gegen Farbige sind“. Dem KPI-„Schatten -Justizminister“ Stefano Rodota schwante es bereits bei der Verabschiedung des Gesetzes, daß es „ohne eine langanhaltende, nach allen Seiten aufgebaute Kampagne für Verständnis, für Toleranz und Integration auf breiter Front sehr schwer sein wird, die zweifellos vorhandenen positiven Seiten der neuen Norm zu realisieren“. Doch von einer solchen Kampagne ist auch bei der KPI kaum etwas zu erkennen. Aus anderen EG-Ländern kommt wenig Tröstliches für die solcherart Diskriminierten: „Im Gegenteil“, sagt ein Ordnungsbeamter, „die rufen uns an und fragen nur, wie „griffig“ unser neues Gesetz zum Abschieben ist.“ Aus Florenz selbst nehmen derzeit Hunderte von Afrikanerinnen und AsiatInnen Reißaus. „Und das sind nun absurderweise genau diejenigen“, wie ein Polizeisprecher entnervt feststellt, „die ihre Dokumente in Ordnung haben, die können sich ja besser bewegen. Wir behalten also genau diejenigen, die wir loshaben wollen, die Illegalen, bis nach Jahren über ihren Widerspruch entschieden wird. Das ist zum Verrücktwerden.“ Ein Wunder ist es nicht. „Die Schläger fragen vorm Zuhauen nicht, ob ihr Opfer eine Aufenthaltsgenehmigung hat“, sagt einer der drei Dutzend Senegalesen, die am 11. März vor dem Rathaus in einen einwöchigen Hungerstreik getreten waren: „Alle vier Kameraden, die sie in den letzten Monaten umgebracht haben, hatten gültige Papiere.“ Dann greift er sich an den Kopf. „Mein Gott“, sagt er, „auf welche Art von Argumentation man sich schon einläßt - als ob sie zuhauen dürften, wenn man illegal ist...“

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