Zwischen Telepathie und Akustik

■ Gespräch mit Paul Motian am Morgen nach dem Konzert seines Trios

Taz:Gestern abend spielte das Trio sehr ruhigen Jazz und Sie benutzten nur die Besen am Schlagzeug. Ist das ein neues Konzept der Gruppe?

Paul Motian: „Nein, dieser Gig war eine Ausnahme. Ich spielte absichtlich nur Balladen, weil es sich nicht gut anhört, wenn man in diesem Raum laut spielt, bei all dem Holz und den schrägen Wänden. Sonst spielen wir abwechslungsreicher - dies war ein Experiment, aber wenn wir unser normales Programm dort spielen würden, klänge es fürchterlich.

Miles Davis schreibt, daß Bill Evans nie wieder so gut spielte, wie in seiner Band, auch weil er danach nur noch mit weißen Musikern wie z. B. Ihnen spielte.

Wie kommt Miles darauf, daß ich weiß bin? (Motian ist Armenier) Ich liebe Miles, aber er ist jetzt 65 Jahre alt, wie gut ist sein Gedächtnis? Ich erinnere mich, daß wir im Birdland „Nardis“ spielten, und Miles sich im Publikum zu anderen Leuten umdrehte und stolz sagte „Hey, they are playing my Song“. Es war sogar geplant, daß Miles mit uns eine Platte aufnehmen sollte, aber dann wurde Scott La Faro getötet und es wurde nichts daraus. Wenn er das gemacht hätte, würde er jetzt vielleicht anders reden.

Sie spielten immer ganz vorne in der Avantgarde mit. Wie ist das jetzt, wo die Idee einer Avantgarde im Jazz selber veraltet ist?

Vielleicht ist jetzt eher eine Zeit, in der die Musiker zurücksehen und erst einmal begreifen müssen, der Mann mit de

schwarzen Oberkörpe

was damals passiert ist, bevor sie etwas Neues machen können. Aber das Trio entwickelt sich zum Beispiel ständig weiter: Mal klingen wir wie drei Solisten und dann wie ein Orchester. Zuerst spielten wir nur meine Kompositionen, dann Songs von The lonius Monk und andere Standards, jetzt sind auch Stücke von Joe und Bill im Repertoire. Und bei jedem Konzert entdecken wir etwas Neues.

Ich habe damals in den Sechzigern Bill Evans verlassen, weil ich dachte, es passierte etwas Neues in New York und ich wollte dabeisein. Ich spielte mit Paul Bley, Albert Ayler und später dann auch Keith Jarrett und Charly Haden neuere, freiere Musik. Aber ich frage mich nie, ob etwas neu oder Avantgarde ist - ich denke musikalisch: wichtig ist, daß es gut klingt.

Sie sind bekannt geworden als Begleiter von Pianisten und wegen ihrer fast telepathischen Verbindung mit Bassisten wie Charly Haden. In dieser Gruppe gibt es keinen Bass und kein Piano.

Die Telepathie ist da auch ohne den Bass. Es kommt auf die Stücke an, und viele Songs klingen auch ohne Bass gut. Und neben dieser Gruppe arbeite ich oft mit Pianisten zusammen: Im Sommer gehe ich mit Charly und Paul Bley auf Tour, oder ich habe auf den Platten der jungen Piani

stin Geri Allen mitgespielt.

War dies trotz des Raumes eines der besseren Konzerte?

Oh ja! Von den 25 Gigs dieser Tour waren fünf wirklich schrecklich, und das ist kein schlechter Durchschnitt. Meist ist der Sound mies. Wir mußten mit einem betrunkenen Techniker arbeiten, in Jugoslavien war der Raum so voller Rauch, daß wir kaum Luft bekamen, in Italien spielten wir in einer Disko mit fürchterlicher Akustik. Außerdem wird das Equipment zum Teil vom Veranstalter besorgt und das ist auch ziemlich riskant. Bill muß sich jeden Abend auf einen neuen Verstärker einstellen und ich spiele nicht mal auf meinem eigenen Schlagzeug. Und manchmal klingen die Toms dann auch schrecklich, aber ich habe zumindest immer meine Becken dabei und wenn es ganz schlimm kommt, spiel ich eben nur darauf. Ein ordentliches Hotelzimmer und gutes Essen wie hier sind auch die Ausnahme. Als ich dreizehn war, kuckte ich in den Clubs zu diesen großen Musikern auf, aber sie waren alle müde, unrasiert und liefen in zerknitterten Anzügen herum. Jetzt weiß ich warum.

Gespräch: Willy Taub