: Das Salz in der Suppe
■ Die Grüne Partei und der Unabhängige Frauenverband ziehen erste Konsequenzen aus ihrem Wahlabschneiden
Ost-Berlin (taz) - „Wir haben gestern alle mit offenem Mund am Fernseher gesessen, als nach 18 Uhr die erste Hochrechnung bekannt wurde“, gestand Friedrich Heilmann, Vorstandsmitglied der Grünen Partei der DDR, am Montag vor der Presse. Einen Tag nach den historischen Wahlen in der DDR versuchten sich die Grünen und der Unabhängige Frauenverband im Haus der Demokratie in Ost-Berlin an einer ersten Analyse für die Zukunft ihrer Gruppierungen.
Heilmann räumte ein, daß sich das Bündnis von Frauen und Grünen natürlich etwas mehr als die erreichten zwei Prozent erhofft hätten. Dies bedeutet immerhin acht Sitze im Parlament. Die Grünen hoffen nun auf die Kommunalwahlen im Mai. „Die Zeit arbeitet politisch für uns, denn die Umweltprobleme wachsen“, begründete Heilmann seine Erwartung. „Der Wahlkampf wechselte von guten Inhalten auf demagogische Kurzformeln“, klagte der Sprecher der Grünen. Und weiter: „Das Kapital hat uns über die DDR -Identitätstheke gezerrt.“ Damit sei der gute ökologische Ansatz des Bündnisses den WählerInnen nicht mehr zu vermitteln gewesen.
Auf der Wahlparty am Sonntag abend hatten sich die Gefühle der Gäste zwischen Enttäuschung und Entsetzen eingependelt. „Das Volk will hier keiner mehr sein, denn das hat sich mit Freibier und Wurst kaufen lassen“, tönte es aus den Reihen. Auch eine Anhängerin des Unabhängigen Frauenverbands ließ ihrem Frust freien Lauf: „Die Leute sind eben phantasielos und gefräßig.“ Eine andere: „Das ist das Ergebnis von 40 Jahren Minderwertigkeitsgefühl gegenüber der BRD.“
Christina Schenk vom Unabhängigen Frauenverband sah am Montag in dem Wahlergebnis keine politische Entscheidung, sondern den „Schrei nach der Westmark“. Sie befürchtet, daß die Hoffnungen der WählerInnen enttäuscht werden. Die DDR habe ihre Chance vertan und drohe zur „schlechten bundesrepublikanischen Kopie“ zu werden. Frau Schenk und ihr Frauenverband wollen sich nach wie vor für die Gleichstellung der Frauen stark machen. Gemeinsam mit den Grünen und womöglich mit dem „Bündnis 90“ streben sie eine „Sperrminorität“ in der neuen Volkskammer an. Damit sollten Verfassungsänderungen, so der Beitritt der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes, verhindert werden. Das Grüne Bündnis will die Eigenständigkeit der DDR solange wie möglich wahren, um Reformprozesse möglich zu machen. „Wir wollen weiter das Grüne Gewissen sein und ständiger Mahner in Sachen Umwelt und sozialem Netz. Wir wollen um jeden Preis die Aufrüstung der Armeen verhindern“, sagte Heilmann. Kurz: „Wir werden das Salz in der politischen Suppe sein - die kann man auch versalzen.“
Bärbel Petersen
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