: Sieg der gelifteten Blockpartei
■ Vierzig Jahre war die CDU der DDR eng mit der SED liiert / Dank Kohl fragte kaum noch ein Wähler danach
Siegessicher hatte sich die Allianz für Kohl schon seit einigen Tagen gegeben. Das sie in dieser Höhe gewann, überraschte allerdings auch die hartgesottensten Optimisten in den Reihen der Schwarzen. Eingefahren hat den Sieg vor allem die CDU. In der DDR als ehemalige Blockpartei wohlbekannt, weiß in der Bundesrepublik kaum jemand etwas über die kleine Schwester der SED und ihren neuen Vorsitzenden Lothar de Maiziere - ein Rückblick auf die Partei und ein Porträt ihres Chefs:
Die Entscheidung von 40,9 Prozent der WählerInnen für die ehemalige Blockpartei CDU war eine Entscheidung für eine Partei, die sich der demokratischen Revolution in der DDR lange entgegengestellt hat. Anders als die Liberaldemokratische Partei hat die CDU der DDR bis zuletzt zu Honeckers Politik gestanden und auch nach seinem Sturz gezögert, eine Wende in der eigenen Organisation herbeizuführen. Aus Protest gegen diese Politik hatten in den drei Revolutionsmonaten knapp 4.000 Mitglieder die Partei verlassen. Die Popularität dieser Partei war deshalb auch noch Anfang dieses Jahres sehr gering. So votierten vor sechs Wochen bei einer Umfrage erst 13 Prozent für die CDU. Die Ursache für den enormen Popularitätszuwachs seither wird man schwerlich in der DDR-CDU selbst finden können. Wachsende Einheitswünsche auf der einen Seite, die massive materielle Unterstützung durch die West-CDU und - mindestens ebenso wichtig - der Legitimitätszuwachs durch das Bündnis mit Kohls CDU auf der anderen Seite dürften die entscheidende Rolle gespielt haben.
Einen solchen Legitimitätszuwachs hatte die Partei, die auf ihrem außerordentlichen Parteitag Mitte Dezember ein „Schuldbekenntnis“ verabschiedete, auch dringend nötig. Denn die CDU war innerhalb des „Demokratischen Blocks“ ihrer Funktion, Christen vor allem aus dem alten Mittelstand (Handwerker, kleine Gewerbetreibende, teils auch Bauern) in das System einzubinden, willfährig nachgekommen. Sie hatte die Kollektivierung des Handwerks ebenso unterstützt wie die Verstaatlichung der noch verbliebenen Privatindustrie. In Fragen der großen Politik wich sie um keinen Millimeter von der durch die SED vorgegebenen Linie ab: Sie befürwortete die Unterdrückung des Aufstands vom 17. Juni 1953 wie den Bau der Berliner Mauer 1961, den Einmarsch in der CSSR 1968 und die Einführung des Kriegsrechts in Polen 1981. Als die Evangelische Kirche sich ab Mitte der 80er Jahre schützend vor die heranwachsende Oppositionsbewegung stellte, wurde sie dafür nicht nur von der SED, sondern auch vom Zentral organ der CDU, der 'Neuen Zeit‘, wiederholt scharf attak kiert.
Selbstverständlich weist die neue Parteiführung darauf hin, daß dies die Schuld ihrer Vorgänger war, die keiner demokratischen Kontrolle der Mitglieder unterlagen. Das ist zutreffend, doch besteht die Partei auch heute noch zu etwa 97 Prozent aus Mitgliedern, die zumindest nach außen hin die alte Politik mitgetragen haben. Viele von ihnen waren in nachgeordneten Positionen des SED-Staates tätig. Von den gegenwärtig etwa 140.000 Mitgliedern hatten im vergangenen Jahr weit über 18.000 Positionen als Abgeordnete in den Kommunalverwaltungen, die CDU stellte 417 Bürgermeister und 292 Stellvertretende Bürgermeister oder Stadträte. Sie haben - sicherlich häufig mit innerem Widerwillen gegen die SED, denn Erinnerungen an die christdemokratische Frühphase von 1945 bis 1948 dürften in manchen Köpfen bewahrt worden sein
-dieses Land mitgeprägt. Zugleich hat die CDU im Wahlkampf von ihrer Vergangenheit auch materiell profitiert: Sie verfügte über einen Apparat, über politisch erfahrene Aktivisten, über Gebäude - darunter die pompöse Parteizentrale in Berlin - und über Zeitungen mit einer Gesamtauflage von etwa 170.000 Stück. Anders als die vorher und nachher ungleich besser ausgestattete - SED/PDS hat sie nichts davon abgegeben (zu 75 Prozent wurde der Parteihaushalt aus dem Staatshaushalt finanziert). Das verschaffte ihr gegenüber der konservativen Konkurrenz einen erheblichen Startvorteil und schließlich auch die Zuneigung der Bonner CDU. Die alte CDU be stand nicht nur aus Gerald Götting.
Es gab jedoch in der Partei Ansatzpunkte für eine Wende. Das entscheidende Datum ist der „Brief aus Weimar“, ein offener Brief an die Parteiführung, der von vier Parteimitgliedern am 10. September veröffentlicht wurde. Die allgemeine gesellschaftliche Unruhe hat in diesem Dokument, das gewissermaßen die Geburtsurkunde der „neuen“ CDU war, ihren Ausdruck gefunden. Der Brief wurde in den folgenden Wochen zum Kristallisationspunkt der innerparteilichen Diskussion und Opposition. Es wird darin die Unterordnung der CDU-Führung kritisiert, eine Auseinandersetzung mit den Ursachen der Fluchtwelle und eine andere Medienpolitik gefordert. Zwei der Unterzeichner, die alle aus dem kirchlichen Bereich kamen, haben inzwischen führende Positionen inne: Martin Kirchner, der jetzt CDU -Generalsekretär ist, und Gottfried Müller, jetzt stellvertretender Parteivorsitzender. Auch sonst ist die Parteispitze durchaus erneuert worden: Von den 90 Mitgliedern des neugewählten Parteivorstandes waren nur 15 früher schon in diesem Gremium. Der Vorsitzende de Maiziere hat mit der alten Führung tatsächlich nichts zu tun.
Gegenwärtig sind in der Partei zwei Flügel erkennbar, die sich zumindest zeitweilig in der Bereitschaft zur bedingungslosen Unterordnung unter die Taktik der Bonner CDU unterschieden: Während Parteivorsitzender Lothar de Maiziere, ein Seiteneinsteiger, der zuvor kein staatliches oder Parteiamt begleitet hatte, versuchte einen Rest von Eigenständigkeit zu bewahren, hat Generalsekretär Kirchner solche Vorbehalte nicht. Den ersten großen Konflikt gab es darum, als Ende Januar Volker Rühe zur Vorbedingung einer Unterstützung der DDR-CDU ein Ausscheiden aus dem Kabinett Modrow machte, eine Forderung, die auch von Teilen der Parteibasis der DDR-CDU erhoben wurde. Zugleich wurde in Bonn laut über ein mögliche Spaltung der DDR-CDU nachgedacht. De Maiziere vertrat dennoch die Auffassung, das führe zum „Chaos“ in der DDR: „Wenn ich jetzt rausgehe, dann würde ich zum Verderb der DDR beitragen. Und das tue ich nicht.“ Am darauffolgenden Tag, den 25. Januar aber verkündigte das CDU-Präsidium, es werde seine drei Minister zurückziehen und nur noch bis 9. Februar „geschäftsführend“ im Amt belassen. Diese Krise wurde schließlich durch den Regierungsbeitritt der Oppositionsgruppen beigelegt. Ob de Maiziere künftig größeres Stehvermögen in der Auseinandersetzung mit seinen Unionsfreunden beweisen wird, das wird sich zeigen.
Walter Süß
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