: Kohls Schwierigkeiten mit dem Sieg
Die neue gesamtdeutsche Innenpolitik / Kohl setzt auf große Koalition, um die Risiken der kommenden Monate auf viele Schultern zu verteilen / CDU-Sieg kann zu einer Chance für Lafontaine werden / Erste Gegensätze zwischen Bundesregierung und künftiger DDR-Regierung werden bereits deutlich ■ Von Klaus Hartung
Bundespolitische Auswirkungen der DDR-Wahl? Schon die Frage hat einen falschen Zungenschlag, denn sowenig es einen autonomen DDR-Wahlkampf gegeben hat, sowenig gibt es noch eine selbständige Bundespolitik.
Kohl, ein Innenpolitiker von Gnaden, auch wenn die Außenpolitik in Scherben fällt, hat das mit der ihm eigenen Dickhäutigkeit praktiziert. Er hatte zwei Hebel zur Verfügung: den Übersiedlerdruck und das Versprechen auf Erlösung von den „Alu-Chips“, also die Währungsunion. Mit der Entscheidung für die CDU hat die Mehrheit der DDR-Wähler die Grenze von der DDR-Politik zur gesamtdeutschen Innenpolitik überschritten. Sie haben sich als fordernde Interessengruppe in der Innenpolitik angemeldet, haben Kohl in die Pflicht genommen.
Es ist eine Entscheidung für die Wahlversprechen des Kanzlers und nur in zweiter Linie die Wahl einer DDR Übergangsregierung. Und schon zeichnet sich ab, daß die Demagogie der Beschleunigung, der Flucht in die Einheit, die den Erfolg brachte, sich umkehrt. Mit dem Wahlerfolg am 18. März beginnt die Präsentation der offenen Rechnungen: Die Kosten für die Arbeitslosigkeit in der DDR, für die zusammenbrechende Infrastruktur stehen in direkter politischer Verantwortung der Bundesregierung. Jede Umschichtung des Haushalts, jeder Nachtragshaushalt, jede Diskussion um Steuererhöhung, jede drohende Sozialstreichung wird der Mann oder die Frau auf der Straße auf Kohls Politik der Einheit beziehen.
Dabei ist die Frage der deutschen Einheit nach dieser DDR -Wahl entdramatisiert; eine nationalistische Demagogie, wo doch alle die Einheit wollen, selbst die Nachbarvölker, wird nicht mehr so ohne weiteres zur Ablenkung von den sozialpolitischen Problemen zu inszenieren sein. Der Wahlkampf der offenen Rechnungen hat begonnen.
Diese Schwäche des CDU-Erfolges hat Kohls Herausforderer schnell erkannt: Er verkündete am Wahlabend, man müsse „den permanenten Wahlbetrug“ des Kanzlers verhindern. Tatsächlich ist der SPD-Kanzlerkandidat in einer vorteilhaften Position. Der Sieg Kohls ist nicht seine Niederlage. Er kann nun gegenüber dem Einheitskanzler als Anwalt des bundesdeutschen Steuerzahlers und als Sprecher der enttäuschten DDR -Bevölkerung auftreten. Diese Gefahr des großen Sieges ist Kohl selbst nicht entgangen. Er, der nie mit historischen Stunden geizte, selbst seinen Rednerauftritten in der DDR die geschichtliche Schicksalsweihe verlieh, verzichtet in der Stunde seines Erfolgs ganz und gar auf die historische Stunde.
Schon in den letzten Tagen vor dem 18. März sprach er zum ersten Mal von längerfristigen Etappen zur deutschen Einheit, betonte die Zeitfolge von Währungs-, Wirtschafts und Sozialunion. Jetzt verschob der Kanzler den Zeitpunkt einer gesamtdeutschen Wahl auf einen unbestimmten Zeitpunkt.
Erst müßte über die Herstellung der ehemaligen DDR-Länder entschieden werden. Jetzt schon, kaum einige Stunden nach der Wahl, zeigt sich schon der erste Riß zwischen Bundesregierung und der künftigen Statthalterregierung. Der designierte Wirtschaftsminister der DDR, Elmar Pieroth, sprach von einer Währungsunion am 1. Juli. Prompt ließ die Bundesregierung erklären, sie „werde noch einige Zeit dauern“. Erst müsse die Volkskammer noch viele Wirtschaftsgesetze erlassen.
Noch deutlicher zeigt sich die Zwangslage der Bundesregierung bei der Koalitionsfrage. Kohl ist daran interessiert, jetzt hüben und drüben den nationalen Konsens zu suchen, den er bislang als Wahlkämpfer vermieden hat. Er hat sofort die Einbindung der SPD-Ost in eine Regierung de Maziere vorgeschlagen. Es wäre „einfach klug, eine Koalition zu bilden, die auch die SPD einbezieht“.
Eine reine christdemokratisch-liberale DDR-Regierung hat als Kanzlerpartei paradoxerweise eine gewisse Macht gegenüber Kohl. De Maziere hat gleich nach der Wahl betont, daß sich durch das hohe Ergebnis der „politische Handlungsspielraum vergrößert“ habe. Eine Statthalterregierung in der DDR ist zugleich auch ein Pressure-group in Bonn; Rücksichtnahmen auf den Bundeswähler können unmittelbar Brüskierungen des DDR-Wählers sein. Die SPD hat immerhin diese Logik begriffen. Sie hat das Angebot einer Koalition mit der „Allianz für Deutschland“ zunächst einmal abgelehnt. Eine solche Koalition würde die klare Oppositionsrolle Lafontaines allerdings auch gefährden.
Auf jeden Fall ist die Stunde des CDU-Sieges auch der Beginn eines Formationsprozesses der DDR-Opposition. Sie wird in der Öffentlichkeit eine größere Bedeutung haben, als die Zahlen ihrer Wählerstimmen es zeigen. In der Tat sind manche Vertreter der Opposition gar nicht so unglücklich, daß die politische Verantwortlichkeit so eindeutig verteilt ist. Von der Opposition ist die Politik der DDR-Interessen, in der Frage des Volkseigentums oder der Verfassung, weitgehend ausformuliert.
Die CDU-Regierung steht unter inhaltlichem Druck, der in dem Maße zunehmen wird, in dem die unmittelbaren Segnungen der Einheit auf sich warten lassen. Daß Kohl und seine Statthalterregierung eine Politik des nationalen Konsenses betreiben muß, ist klar; weniger klar ist, wer in dieser gesamtdeutschen Innenpolitik Opposition sein wird.
Der zweite Sieger der DDR-Wahl, die PDS, hat schon begonnen, ziemlich direkt, das „Wahlbündnis 90“ zu einer „kritischen Zusammenarbeit“ (Gysi) aufzufordern. Auch zarte Angebote an die SPD sind von seiten der PDS zu hören. Der Berliner PDS-Parteichef Adollphi: „Es gibt zwischen unseren Parteien doch eine Menge Gemeinsamkeiten.“ Die SPD-Ost hat zwar schon prophylaktisch ihre Absagen formuliert, weiß aber genau, wie schwer es sein wird, sich jeden Gemeinsamkeiten zu entziehen. Zugleich hat der Erfolg der PDS den Traum der Bundeslinken von sozialistischen Partei erneuert. Verena Krieger vom ökosozialistischen Flügel der Grünen hat für den Frühherbst eine gesamtdeutsche Oppositionskonferenz vorgeschlagen, unter Einschluß der PDS. Hier ziehen Identitätskämpfe und ideologische Prinzipiendiskussionen herauf, die zunächst einmal die Grünen ihre politische Existenz kosten können. Die rot-grüne Perspektive ist ohnehin ein Ergebnis von Jahrzehnten bundesdeutscher Innenpolitik, und eine Neuformulierung für eine gesamtdeutsche Innenpolitik steht noch aus.
Für Lafontaine wird alles davon abhängen, eine Kohlsche Politik des nationalen Konsenses konterkarieren zu können, ohne sich von einer neuen Linkshaberei beeinflussen zu lassen, die sich als Opfer der Wiedervereinigung sieht. Kohl jedenfalls wird als Adressat einer neuen Demagogie sehr bald die gesamtdeutsche PDS ausgemacht haben.
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