VATERLANDSVERTRETER

■ Rauschenberg, Vostell, Fetting und andere Adoptivväter in O-Berlin

Frühling in der Ost-Mark - nicht erst seit Sonntag streifen Horden von selbstgefälligen Pappis ahnungsvoll durch das Land, und den Jungen fährt die gemeine Kohlmeise ins Hirn: Wie es aus dem Land herausruft, so tönt es auch wieder hinein. Neue Altväter braucht das verweiste Land. Und die Kunst hat - ausnahmsweise einmal rechtzeitig - aus dem Cultural lag herausgelacht und antizipierend auf den Punkt gebracht, wo's zukünftig langgeht im Leben: Denn schon seit Wochen invadieren die Kunst-Bewährten aus dem Westen Ost -Berlin. Die großen Antiautoritäten von vorgestern, die abgelegten Autoritären von gestern, die Epiogonen ihrer selbst, die zu Pseudo-Neunzigern konvertierten geballten sechziger Jahre, Wolf Vostell, Rainer Fetting und vor allem Robert Rauschenberg - die Geister kamen wie gerufen und jetzt wird man sie wohl so schnell nicht mehr loswerden.

Noch bevor Helmut Kohl definitiv durchmarschierte, hatte schon Wolf Vostell eingegriffen: die großen Gesten und falschen Töne derer, die sich gar nicht erst lang haben bitten lassen, sind die gleichen. Vostell schenkte dem deutschen Volk ein Bild, Kohl maß ihm eine Einbildung an. Böse ist jetzt nur noch „Ideologie“ - weshalb beide bellend vor diesem Hunde warnen. Wolf Vostell malt dem „Volk“ den Hof. Sein endgültiges Ikon mit dem Titel „9. November 1989 Berlin“ hängt guernicamäßig schwarz-weiß-grau auf sechs mal drei Metern in der extra schwarzgetünchten Galerie am Weidendamm. Viel Menschen mit Mauer - Velazquez, Delacroix, Picasso, Vostell. Da hat der letzte aber Glück gehabt: noch ein wirklich großes Thema gefunden, 1.Volksmaler, heiligster Chronist, vornehmster Zeitzeuger. Ihm gegenüber nimmt sich der jüngere Aus-neu-macht-alt-Wilde - aber natürlich nicht weniger Gut-und-Teuere und in der Nationalgalerie-Ost sich repräsentierende - Westkünstler Rainer Fetting geradezu als bescheidener Heimatmaler aus mit seinen Buntportraits von Mauern, Sonnenuntergängen, U- und S-Bahnen.

Übervater der Väter im zukünftigen Möchtegern-Vaterland ist der 1925 geborene Amerikaner Robert Rauschenberg, der im Alten Museum direktiviert. Er trägt immerhin eine nicht unbeträchtliche Mitschuld am Entstehen der Pop-art, kombiniert seit den fünfziger Jahren ziemlich hemmungslos Zeichen und Gegenstände aus Kultur und Alltag in zwei bis drei D und hatte damit doch einen prima schlechten Einfluß auf gute Kinder. Aber auch der Ex-Neodadaist und Junk-Artist schenkt nun leider in real-kitschigster Manier dem deutschen Volke ein Bild, das „German Stroll“ („Deutscher Spaziergang“) heißt und mit dem sich der weiland Banalitätenpriester jetzt auch direkt an das Historische und an das Ewigkeitswerte anstöpselt.

Allerdings hat Rauschenberg mit dem Großen Ganzen schon seit mehreren Jahren zu tun, spätestens seit 1984, nämlich seit er mit seinem „Rauschenberg Overseas Culture Interchange„-Zirkus (kurz: R.O.C.I.) durch die Welt zieht, um dieser mindestens den Frieden zu bringen. „Auf der Basis meiner vielseitigen und weitreichenden Zusammenarbeit glaube ich fest daran, daß der Kontakt von Mensch zu Mensch auf dem Weg über die Kunst wirksame friedliche Kräfte in sich birgt und der am wenigsten elitäre Weg ist, ausgefallene und alltägliche Informationen miteinander zu teilen, die uns hoffentlich zu gegenseitigem kreativen Verständnis führen können“, schrieb Pappi zu Beginn seiner Predigerreise. Seither war R.O.C.I. in Mexiko, Chile, Venezuela, China, Tibet, Japan, Kuba und der UdSSR, wobei in jedem Land wg. „Kommunikation zwischen den Kulturen“ neue, quasi „typische“, Bilder und Urlaubs-Videos dazukommen: siebenmal Rauschenberg auf mexikanisch, fünfmal Rauschenberg als Chilene verkleidet, sechsmal Rauschenberg mehr chinesisch, Rauschenberg im japanischen Stil etc. etc. Auf großformatigen, die Ewigkeit überdauernden Materialen wie etwa Keramikplatten kombiniert er vorwiegend via Siebdruck die Souveniers der verschiedenen Kulturen - „typische“ Stoffe, „typische“ Embleme, „typische“ Verpackungen, „typische“ Zeichen, „typische“ Materialien, „typische“ Architekturmotive - zu bunten Flächen mit dem Geruch des Exotischen, der - in dem dann doch wieder alles gleich aussieht - aber eigentlich nichts anderes ist als der Mief eines Urlaubstagebuchs, in dem Alpenrosen gepreßt werden.

Dennoch behauptet Pappi, er zeige den Leuten damit, wie die Welt aussehe und zwar aufs völkerverbindlichste und ökonomischste: „Wenn Sie jemanden kennen, dann mögen Sie ihn automatisch und wünschen ihm keinen Schaden. Und dieses Konzept ist wesentlich billiger als der Krieg.“ Rauschenberg konvertiert die Kulturen zum Kurs Eins-zu-eins und verbessert die unterschiedlichen Gegenstände zu einem dekorativen Ganzen notfalls durch einige künstlerische Pinselstriche.

Und während die Pop-artisten damals die Kunst verschnödet und damit lebendig gemacht haben, wird heute „alles Leben durch Kunst veredelt“, wie Rauschenbergs Projektleiter Donald Saff schreibt. So ist das, wenn die Väter ihre eigene Revolution fressen.

Gabriele Riedle

Wolf Vostell: Galerie am Weidendamm (S-Bahnhof Friedrichstr.) bis 25. März Mo bis Fr 10-18 Uhr, Sa und So 10-16 Uhr. Rainer Fetting: Nationalgalerie-Ost (Museumsinsel) bis 15. April Mi bis So 10-18 Uhr. Robert Rauschenberg: Neue Berliner Galerie im Alten Museum (Eingang Unter den Linden) bis 1. April Mi-So 10-18 Uhr