: Der arme Hund im Stasi-Mann
■ Slawomir Mrozeks „Portrait“ in Mannheim
Der Mann hat ein schlechtes Gewissen. Bisher war es zuverlässig, und er hatte eigentlich keinen Grund zur Klage. Was kann eine mausgraue Existenz wie er auch mehr verlangen? Alles könnte so bleiben, wäre das schlechte Gewissen im Laufe der Zeit nicht unzufrieden geworden und fühlte es sich nicht zu Höherem berufen: Mord wäre was. Aber eine hundsgewöhnliche Denunziation. Mit so was gibt sich ein Edelgewissen eigentlich nicht ab. Es hätte ja vielleicht noch einige Zeit ausgeharrt, wenn das unter Stalin denunzierte Opfer nicht auch noch begnadigt worden wäre. Das schlechte Gewissen macht sich aus dem Staub. Zurück bleibt der mausgraue Mann mit Frau und Wohnung - ebenfalls mausgrau. Jetzt erst ist er, was er im Grunde schon immer war: das Opfer. Ein Denunziant, der sonst nichts im Leben zuwege gebracht hat.
Er macht sich auf den Weg und will den aus Stalin-Haft entlassenen Jugendfreund besuchen. Insgeheim weiß er schon, daß er sich als Denunziant zu erkennen geben wird. Es ist die einzige Chance, seiner Tat und seinem Leben doch noch Gewicht zu verleihen. Wenn er loszieht, ist Slawomir Mrozeks Portrait schon bis zum zweiten Akt gediehen. Der arme Hund im Stasi-Mann wurde mit den Mitteln grotesker Ironie gezeichnet: Wir durften mit zur Psychiaterin und den Reigen um die Couch verfolgen. Mann, Gewissen und Seelenforscherin umspielten das wichtigste Möbelstück der Moderne in exakt choreographierter Fallsucht - jeder legte sich flach. Und dann das symbiotische Paar beim Schachspiel, in dessen Verlauf das schlechte Gewissen seinem Unmut Luft machte und zur quietschenden Mickey Mouse wurde. Es hätte so weitergehen können, ja, es hätte so weitergehen müssen. Aber der 1963 aus Polen emigrierte Dramatiker wollte es anders, als er vor vier Jahren sein Stück fertigstellte.
Das vermeintliche Opfer des Denunzianten wohnt schick und ist aufgrund des ihm zugefügten Unrechts vielbegehrt. Was im Gefängnis nicht ging, holt er mit einer Zwanzigjährigen nach. Als der Mann und Jugendfreund Bartodziej ihm dann seine Denunziation gesteht, geschieht das Unerwartete: Anatol will nichts von Rache wissen, Genuß ist angesagt. Bartodziej wird um den eigentlichen Lohn seiner Tat betrogen. Als Geschichte ist das gut, aber Slawomir Mrozek ändert plötzlich den Ton seines Stückes: In nicht enden wollenden Dialogen sprechen sich die beiden in Grund und Boden. Aus der Groteske ist ein plump psychologisierendes Dialogmarathon geworden.
Man hat dieses Phänomen jüngst schon einmal beobachten können: Kurz bevor Vaclav Havel Staatsoberhaupt wurde, gab es in Zürich die Uraufführung seines neuesten Stückes Sanierung. Auch er behandelte das Nullsummenspiel sozialistischer Planwirtschaft zuerst in ironisch distanzierter Haltung und fand sich plötzlich in der Sackgasse einer belehrenden und trockenen Gesellschaftsparabel wieder. Slawomir Mrozek bemerkte wohl noch, daß er in eine Sackgasse geraten war, und legte den Rückwärtsgang ein. Anatol bekommt einen Schlaganfall und wird von Bartodziej gepflegt. Vor dem Fenster blüht ein Kirschbaum, und aus dem trockenen Dialog wird unversehens eine melancholische Ballade. Bruno Klimek, der sich in Mannheim als zweiter Regisseur neben Schauspielchef Nicolas Brieger etabliert hat, macht auch diesen Kurswechsel des Stückes mit - er hätte es gegen den Strich bürsten und den Rotstift entschiedener ansetzen sollen. Daß er das kann, zeigte er im ersten Teil.
Jürgen Berger
Weitere Aufführungen: 23., 26. und 28. März
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