: Hungerstreik nicht prozeßrelevant
Das Oberlandesgericht Düsseldorf will im RAF-Verfahren gegen Thomas Kilpper über Hungerstreik nicht urteilen / Verteidiger werfen Bundeskriminalamt Aktenunterschlagung vor ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Der 6. Senat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts hat in dem Prozeß gegen das angebliche RAF-Mitglied Thomas Kilpper das Verfahren wegen dessen Beteiligung am Hungerstreik eingestellt. In der Anklageschrift war die Hungerstreikteilnahme noch als Beleg für die „mitgliedschaftliche Beteiligung an der RAF“ gewertet worden. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Fernholz, stimmte am 16. März der Einstellung in diesem Punkt zu, beantragte aber zugleich, Kilpper darauf hinzuweisen, daß die Teilnahme am Hungerstreik trotzdem als Indiz für seine RAF-Mitgliedschaft gewertet und auch strafverschärfend berücksichtigt werden könne.
Der 6. Senat lehnte diesen, für weitere Hungerstreikverfahren möglicherweise präjudizierenden Hinweis ab. Inhaltlich nehmen die Düsseldorfer Richter im Einstellungsbeschluß zur strafrechtlichen Relevanz des Hungerstreiks nicht Stellung. Angesichts der Hauptanklagepunkte gegen den seit eineinhalb Jahren in U -Haft einsitzenden Kilpper falle die Hungerstreikbeteiligung nicht ins Gewicht, befand das Gericht. Kilpper soll laut Anklage führendes Mitglied einer der RAF zugerechneten „kämpfenden Einheit“ gewesen sein.
Das Bundeskriminalamt (BKA) hat im Kilpper-Verfahren nach Auffassung der Verteidiger Rüdiger Deckers und Jürgen Wessing allen Verfahrensbeteiligten „wesentliche Vorgänge aus dem Ermittlungsverfahren vorenthalten“. Die Verteidigung beantragte deshalb in der vergangenen Woche vollständige Akteneinsicht, die Aussetzung des Verfahrens und die Aufhebung des Haftbefehls. Tatsächlich hatte der BKA-Beamte Dirk Georg Büchner als Zeuge im Gerichtssaal eine „doppelte Aktenführung“ eingeräumt. Ein Exemplar sei für das Gericht bestimmt gewesen, das andere ein „Ermittlungsaktendoppel“, in dem zuzüglich zu den Gerichtsakten Observationsberichte, Fernschreiben und „polizeiinterner Schriftverkehr“ gesammelt worden seien. Zumindestens die Observationsberichte gehören auch nach Auffassung des Senats zur Ermittlungsakte. Das Bundesinnenministerium verweigert jedoch die Herausgabe. „Die Fortsetzung der Verhandlung vor dem Hintergrund einer in wesentlichen Teilen lückenhaften Akte“ würde diese nach Ansicht der Verteidigung „zur Farce machen“. Unter „der Herrschaft des Prinzips der geteilten Information“ sei ein rechtsstaatliches Verfahren nicht mehr durchführbar.
Über die Akteneinsichtsanträge will der Senat beraten. Man sei sich bewußt, so der Senatsvorsitzende Krantz, daß damit in die „Tiefen des Akteneinsichtsrechts“ vorgestoßen worden sei. Aktenmanipulationen durch das BKA gehören vor allem in Drogenverfahren inzwischen zum Justizalltag. In einer Urteilsbegründung des Landgerichts Hamburg vom 1.9.1988 heißt es: „Der Kammer ist mit Anklageerhebung eine vom Bundeskriminalamt in einem bis dahin nicht vorstellbaren Maße gefälschte Akte vorgelegt worden: Der gesamte Akteninhalt ließ (...) nur den Schluß zu, M. habe als Mittäter 3 kg Heroin (...) transportiert und sei dem BKA (...) entkommen. Erst in der Hauptverhandlung hat sich herausgestellt, daß die 3 kg Heroin von einem Beamten des BKA nach Deutschland gebracht worden sind und daß M. absichtlich nicht festgenommen worden ist.“
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