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Wachstumszwang-betr.: "Satanischer Zins oder Wachstumsmotor?", taz vom 17.3.90

betr.: „Satanischer Zins oder Wachstumsmotor?“,

taz vom 17.3.90

Ein so rasantes Wachstum der Geldvermögen durch Zins- und Zinseszins, wie es sich seit etwa zwei Jahrzehnten in der BRD entwickelt hat, konnten Marx und Engels nicht beobachten, weil zu ihrer Zeit die Volkswirtschaften häufig durch schwere Krisen (Deflation und Inflation) erschüttert wurden. Erstmalig in der Geschichte konnten nach dem Zweiten Weltkrieg in Ländern, in denen die Inflation gering blieb und Deflationen aufgrund der staatlichen Wirtschaftspolitik vermieden wurden, die Geldvermögen über Jahrzehnte nahezu ungestört wachsen - in der BRD seit 1950 um mehr als das Dreifache gegenüber der volkswirtschaftlichen Leistung, dem Bruttosozialprodukt.

Es zeigt sich nun, welche Auswirkungen das Prinzip von Zins und Zinseszins langfristig hat: Es führt zu lawinenartigem Wachstum - im Laufe von Jahrzehnten im Extremfall immer wieder zu Verdoppelungen der jeweiligen Ausgangswerte, entsprechend der Faustregel: 72 geteilt durch Zinssatz Verdoppelungszeit in Jahren.

Eine solche Entwicklung beim Finanzkapital ist der entscheidende Grund, warum alle Volkswirtschaften - entgegen sämtlichen biologischen und ökologischen Einsichten unaufhörlich wachsen sollen und nur dann als gesund bezeichnet werden. Wachsende Geldvermögen bedeuten wachsende Verzinsungsansprüche. Also müssen immer mehr Schuldner und immer mehr rentable (zinsträchtige) Investitionsmöglichkeiten gefunden werden, national und international. Gelingt dies nicht, kommt es bei dem bestehenden Kapitalüberangebot wegen mangelnder Kapitalrentabilität zu deflationären Wirtschaftsentwicklungen.

Wir haben es also mit einem geldordnungsbedingten Zwang zu unaufhörlichem Wirtschaftswachstum zu tun, das die Naturzerstörung vorantreibt. Für eine ökologisch geprägte Wirtschaftsordnung wäre eine Reform der Geldordnung notwendig, die die Wirtschaft von dem Wachstumszwang befreit. Es wird höchste Zeit, daß sich mehr Ökonomen(ÖkonomInnen. d.sin) und alle politischen Parteien, die den Umweltschutz ernst nehmen, endlich mit diesem Problem befassen.

Josef Hüwe (Koordination naturgemäße Wirtschaftsordnung)

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