: Tödliche Umarmung im Aufsichtsrat?
Theo Steegmann, 2.Betriebsratsvorsitzender bei Krupp und maßgeblich beteiligt am Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze in Rheinhausen, über seine Erfahrung als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat / Auftreten wie Geheimräte ■ I N T E R V I E W
taz: Du sitzt nun seit anderthalb Jahren im Aufsichtsrat der Krupp GmbH. Welche Erfahrungen hast Du in diesem Gremium gemacht?
Theo Steegmann: Zunächst war ich überrascht, wie offen die Kapitalvertreter da reden - zum Beispiel darüber, daß bestimmte Betriebe geschlossen werden müssen. Die sind sich voll bewußt, daß den Arbeitnehmervertretern nichts übrig bleibt, als sich der marktwirtschaftlichen Logik zu beugen. So wird versucht, die Arbeitnehmervertreter in die Konzernstrategie einzubinden. Das war für mich das erstaunlichste Erlebnis. Das zweite ist die bittere Erfahrung, wie schnell sich Arbeitnehmervertreter von so einer Strategie vereinnahmen lassen.
Warum bist Du rein in den Aufsichtsrat?
Mich hat die Mitbestimmung auf dieser Ebene interessiert. Gleichzeitig waren meine Kollegen der Auffassung, daß in dieses Gremium Leute müssen mit einem starken gewerkschaftlichen Bewußtsein und mit Erfahrung. Ich hielt diese Ebene der Mitbestimmung für ganz wichtig, weil ich gemerkt habe, daß die Kollegen wie verwandelt sind, sobald sie so eine Position haben.
Kann man in diesem Gremium Arbeitnehmerinteressen wirksam vertreten? Kann der Aufsichtsrat Hebel sein, die hehren Ziele der Mitbestimmung zu verwirklichen?
Da muß man differenzieren zwischen der Montanmitbestimmung und der 76er Mitbestimmung*, die ja keine Parität ermöglicht. Bei der 76er Mitbestimmung halte ich die negativen Auswirkungen durch die Einbindung der Arbeitnehmervertreter in diese Entscheidungsstrukturen für größer, als die Vorteile, die sie hat.
Welche Bedeutung haben denn Aufsichtsratsentscheidungen für die Unternehmenspolitik des Vorstandes?
Nach dem Aktiengesetz hat der Aufsichtsrat die Aufgabe, den Vorstand zu kontrollieren. Das ist schon eine wichtige Funktion. Der größte Nutzen liegt aber für uns darin, daß man schon frühzeitig Informationen erhält über die Konzernstrategie und die wirtschaftliche Lage des Unternehmens. Damit kann man dann versuchen, eine wirksame Gegenstrategie zu entwickeln. Auf der Ebene der Information ergeben sich für die Arbeitnehmer schon einige Vorteile, wenn sie konsequent genutzt werden, und wenn man sich nicht in diese Strategie einbinden läßt.
Hast Du den Eindruck, daß bei Euch der Aufsichtsrat den Vorstand wirklich kontrolliert?
Bedingt. Ich könnte mir die Kontrolle wesentlich besser vorstellen. Es gibt keine koordinierte Offensivstrategie der Arbeitnehmervertreter. Wir haben da eine Menge Probleme auf unserer „Bank“, also damit, daß die Gegenseite einzelne Betriebsteile gegeneinander ausspielt. Es ist oft schwer, eine geschlossene Arbeitnehmerbank herzustellen. Das könnte wesentlich wirksamer sein, wenn wir uns besser vorbereiten und koordinieren und der Gegenseite eigene Alternativen gegenüberstellen würden.
Teilst Du die Kritik, daß Aufsichtsräte immer mehr dazu verkommen, Vorstandsentscheidungen pseudodemokratisch zu legitimieren?
Auf jeden Fall. In schätzungsweise 90 Prozent der Fälle werden Arbeitnehmervertreter voll eingebunden in die Entscheidungen des Vorstandes. Das liegt an der Logik des Systems. Natürlich werden die Entscheidungen des Vorstandes begründet - warum zum Beispiel ein bestimmter Betrieb zu schließen sei - mit dem klassischen Argument: Wenn wir den Betrieb nicht zumachen, ist der Rest gefährdet. Diese Argumente sind betriebswirtschaftlich in sich schlüssig, und damit erreicht man sehr schnell, daß Arbeitnehmervertreter zustimmen.
Ist die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten nicht eher schädlich für die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften?
Ich denke nicht, wenn sie die Informationen, die sie erhalten, offenlegen. Das Problem ist, daß in vielen Fällen mit der Geheimhaltungspflicht operiert wird und Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten eher wie Geheimräte auftreten. Das ist für mich das Minimum, daß die Arbeit in den Aufsichtsräten transparent gemacht wird. Andernfalls entsteht zu Recht ein schlechtes Bild bei den Kollegen im Betrieb. Die ideologische Einbindung, die in diesem Gremium stattfindet, ist eher eine tödliche Umarmung.
Reicht es, die Unternehmensmitbestimmung zu verbessern, oder müssen Alternativen entwickelt werden?
Meiner Meinung nach reicht die Verbesserung keineswegs aus. Ein Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat eines Atomkraftwerks beispielsweise ist ja auch der betriebswirtschaftlichen Logik verhaftet. Wenn die IG Metall einerseits den Ausstieg aus der Atomenergie fordert und die Abkehr von umweltschädlichen Produkten, muß das andererseits gekoppelt werden mit einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive. Die Gewerkschaften können da die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten nicht alleine lassen. Da schwebt mir die Forderung nach Wirtschafts- und Sozialräten vor, wie sie im DGB-Grundsatzprogramm schon 1949 aufgestellt wurde. Das muß begleitet sein durch eine Branchenpolitik und durch eine Politik, die insgesamt eine Alternative zum herkömmlichen Wirtschaftssystem im Auge hat.
Interview: Gabriele Sterkel
* Mitbestimmungsgesetz von 1976 (für Unternehmen in Wirtschaftsbereichen außerhalb der Montanindustrie mit mehr als 2.000 Beschäftigten): Im Aufsichtsrat sind Anteilseigner und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen vertreten, aber kein neutrales Mitglied; der Vorsitzende - de facto immer Anteilseigner - hat bei einer Pattsituation doppeltes Stimmrecht. Auf der Arbeitnehmerbank befindet sich mindestens ein leitender Angestellter.
Mitbestimmungsgesetz (1951) in der Montanindustrie: Der Aufsichtsrat ist von Anteilseignern und Arbeitnehmervertretern zu gleichen Teilen besetzt, plus einem neutralen Mitglied. Die Besetzung der Arbeitnehmerbank erfolgt auf Vorschlag von Betriebsrat und Gewerkschaft.
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