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„Der wichtigste Tag in der Geschichte“

Namibia feiert seine Unabhängigkeit / UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar: Unabhängigkeit des Landes ist ein Triumph für Afrika und für die Grundsätze der Vereinten Nationen / Südafrikas Präsident de Klerk gibt sich moderat  ■  Aus Windhuk Hans Brandt

Der magische Augenblick sollte um Mitternacht sein: die südafrikanische Flagge sollte eingeholt, die neue namibische gehißt werden. Doch die Mitternachtsstunde verstreicht, während UNO-Generalsekretär Javier Perez de Cuellar noch seine Zusammenfassung des Unabhängigkeitsprozesses verlas. Verantwortlich für die Verzögerung ist das Gedränge in den Rängen der VIPs. Leibwächter drängeln Staatschefs beiseite, Diplomaten traten einander auf die Füsse bei dem Versuch, doch noch einen Platz zu bekommen. Manch einer muß die smarten Lederschuhe verloren haben. Im Gegensatz dazu ist auf den Rängen der allgemeinen Bevölkerung mehr als genug Platz, von Gedränge keine Spur. Das mag mit dem Wetter zu tun haben. Es regnet. Das ist zwar in Afrika, auch in Namibia, ein Segenszeichen. Aber es dämpft die Leidenschaft der Bevölkerung. Ohnehin sind diese Feiern eher auf die internationalen Gäste und die feierliche Zeremonie ausgerichtet. Für die spontane Freude der Bevölkerung bleibt dabei dann wenig Platz.

Für den 22-jährigen Buren Gawie de Beer ist es ohnehin eher eine Stunde des Nachdenkens. „Wir als Buren haben unseren Teil in diesem Land getan,“ sagt er, während er seiner Freundin den Arm um die Schultern legt und im Nieselregen die Schultern einzieht. „Jetzt müssen wir einem anderen Volk die Möglichkeit geben, einen Versuch mit der Regierung des Landes zu machen.“ Aber obwohl er der Regierung der südwestafrikanischen Volksorganisation Swapo nicht über den Weg traue, sei er dennoch zu der Feier gekommen. „Ich glaube, das muß man zusammen mit allen Menschen erleben.“

Sein Nachbar Adolf Eiseb (22) ist auch nicht gerade euphorisch. Der Regen stört ihn. „Warum können wir nicht auf der überdachten Tribüne sitzen?“ fragt er. „Die ist für die VIPs rerserviert,“ sage ich. „Aber wir sind doch auch wichtige Leute, oder?“ Zur Feier des Tages hat Eiseb schon einige Flaschen Bier getrunken. „Seit November, seit ich vom südafrikanischen Militär entlassen wurde, bin ich arbeitslos,“ sagt er. „Überall sagt man mir, daß es keine Arbeit gibt.“ So hat er sich schon bei der neuen namibischen Armee um eine Stelle beworden. Gegen Swapo hat er nichts, auch wenn er gegen die Volksorganisation im Krieg gekämpft hat. „Das einzige, was ich mir wünsche, ist ein kleines Stück Land,“ sagt er. „Da möchte ich dann mit meiner Mutter, Großmutter und der ganzen Familie leben. Jetzt, mit dieser Regierung werde ich es endlich bekommen.“ Er wird enttäuscht werden. Eine Bodenreform wird Swapo vorläufig nicht durchführen können.

Mit de Beer und Eiseb unterhalte ich mich auf Afrikaans. Denn beide können kaum Englisch - die neue Landessprache. Den größten Teil der Feierlichkeiten können sie und viele andere Zuschauer wahrscheinlich nicht verstehen. Perez richtet sich in seiner Rede ohnehin vor allem an die internationalen Gäste, an die Welt. Namibias Unabhängigkeit sei nicht nur ein Triumph für Namibia, sondern für Afrika und für die Grundsätze der Vereinten Nationen. „Die Verhandlungslösung gibt der ganzen Welt neue Hoffnung auf dem Weg in eine neue Ära und zu einer neuen Phase der Kooperation in den internationalen Beziehungen,“ sagt Perez. Die Ausarbeitung einer Verfassung für Namibia nennt er „eine Lektion für die ganze Welt über die Effektivität demokratischer Prozesse“.

Südafrikas Präsident Frederick de Klerk, der Kolonialherr, der Namibia endlich aufgegeben hat, gibt sich konziliant. „Ich stehe heute hier als ein Anwalt des Friedens,“ sagt er und wird von den Menschen bejubelt. „Wir Afrikaner haben die Lösung für ein afrikanisches Problem gefunden“, fuhr er fort. Sein Wunsch für die Zukunft sei es, gutnachbarliche Beziehungen mit Namibia zu haben. Und dann richtet de Klerk sich zum Ende seiner Rede an die Bevölkerung des Landes auf Afrikaans: „Die Sonne geht auf über einem neuen Namibia als Teil eines neuen südlichen Afrikas.“ Und die Menschen jubeln ihm zu.

Als dann endlich die südafrikanischen Armeetrompeter - die Unteroffiziere Mkhize, van Schalkwyk und Swartz und der einfache Soldat Brandt - der südafrikanischen Flagge den Zapfenstreich spielen, steht de Klerk gefaßt mit Hand auf der Brust da. Aber die Trompeten sind im Jubel der Menge kaum zu hören. Und Sam Nujoma lacht voller Freude. Dies ist der „wichtigste Tag in der Geschichte unseres Landes“, sagt Nujoma, nachdem Perez ihm den Präsidentschaftseid abgenommen hat. „Ein neuer Stern ist über dem afrikanischen Kontinent aufgegangen. Afrikas letzte Kolonie ist in dieser Stunde befreit. Länger als ein Jahrhundert haben wir auf diesen Augenblick gewartet.“ Mit „Hoffnung und Vertrauen“ sehe er der Zukunft des neuen Staates entgegen. Wenig später explodieren die Feuerwerksblumen in den namibischen Farben rot, blau und grün über dem Stadion. „Wir haben lange unter der Unterdrückung der Buren gelitten“, sagt Zacharia Hange, ein 32-jähriger Übersetzer. „Deshalb bin ich so glücklich, daß wir heute unabhängig sind. Ich hoffe, daß es uns jetzt besser gehen wird.“

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