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Akribie und Pupenjungs

■ „Haarmann ... still mit irren Händen“ / Theaterstück um den Massenmörder im Schlachthof

„Geht's um Sägen oder Hacken, mußt Du mal mit Haarmann schnacken.„ Keine Ahnung, was die Großen damals vor zwanzig Jahren auf der Schule damit meinten, erst später stellte sich heraus, daß Friedrich Haarmann der homosexuelle Massenmörder aus Hannover war.

In den Jahren zwischen 1918 und 1924 ermordete und zerstückelte der Frührentner und Spitzel der Polizei insgesamt 24 jugendliche Männer. Es geschah immer nach sexuellem Tun und durch einen herzhaften Biß in die Kehle seiner Opfer, die er dann erdrosselte.

Der Mann H. war die Akribie in Person. Er öffnete den Toten den Bauch, entnahm die Eingeweide und wischte ihn mit einem Tuch blutleer. Mit stereotypen Bewegungen zerlegte er die Leichen in kleine Stücke, um schließlich das Haupt zu skalpieren. Die Schädel zertrümmerte er, denn nach seinem eigenen Tod sollten ihn „oben die Pupenjungs“ nicht sehen können.

Haarmann, das Monster. Haarmann, der Mensch. Haar

mann, der Psychopath. Der Regisseur Dirk Cieslak hat einen Text aus psychatrischen Verhörprotokollen Haarmanns und zeitgenössisch-sexualwissenschaftlichem Material erstellt, und Armin Dallapiccola spielt ihn. Der Stoff bietet genügend Dramatik und eine Fülle an Facetten, und Dallapiccola besitzt unbestreitbare Qualitäten.

Auf der abgedunkelten Bühne im Schlachthof steht ein langer Holztisch. Zwei Stühle wirken wie zufällig dagelassen, und Kerzenreihen verlaufen strahlenför

mig zu den Ecken der Bühne. Am Rande intoniert ein Chor (Solfado) schier endlose Phrasen. Haarmann bastelt an Laubsägearbeiten. Haarmann, genannt Fritz, sitzt im Gefängnis und räsonniert über sein Leben. Der Chor ist verstummt, nur ein junger Mann in einer stilisierten SA -Uniform ist als Beobachter am Rande der Bühne sitzengeblieben. Das ist ein Regieeinfall, zufällig. Haarmann/Dallapiccola spricht trotzig, wenn er seine biederen Statements abgibt. Er weiß, daß er hingerichtet werden wird, weil er

gemordet hat. Doch sein Unrechtsbewußtsein bleibt formal, eigentlich hat er sich an seine selbstverfaßten Regeln gehalten.

Es steckt eine gute Absicht dahinter, der Schauspieler ist gut. Aber trotzdem bleibt wenig hängen, der Konflikt des Fritz Haarmann erreicht uns nicht. Dallapiccola krallt sich an den Tisch, er rutscht auf dem Boden, er räkelt sich auf dem überdimensionierten Möbel. Alles Regieeinfälle, wir kennen das schon. Das psychische Gewirr bleibt diffus. Haarmann greint: „Wegen mei

ner Briefmarkensammlung habe ich die Jungen nie mitgenommen

-ich habe gar keine“, und er entrüstet sich : „Die Pupenjungs sagten immer: 'Fritze, sollen wir dir einen abwichsen?‘ Ich sagte:'Das sagt man nicht, das heißt Herr Haarmann.'“

Hier spiegeln sich objektive Widersprüche, zeigen sich die verschrobenen Gedanken eines kranken Hirns. Aber das reicht nicht aus. Haarmann war erheblich mehr als ein greinender Krimineller. Jürgen Franck

Weitere Aufführungen: 23., 24. 25.März, Kesselhalle Schlachthof, 20.30 Uhr

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