: „WHO wird wie eine Autofabrik gemanagt“
Rücktritt des Direktors des WHO-Aids-Programms verschärft die Krise der Weltgesundheitsorganisation / Personalpolitik des WHO-Generaldirektors Nakajima gefährdet Osteuropa- und Dritte-Welt-Programme / Sein Sturz ist nicht mehr ausgeschlossen ■ Aus Genf Andreas Zumach
Ein Spezialist für Durchfallkrankheiten, der US-Amerikaner Michael Merson, steht künftig an der Spitze des globalen Programms zur Aids-Bekämpfung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf. Mit dieser Personalentscheidung bewies der japanische WHO -Generaldirektor Hiroshi Nakajima nach Ansicht seiner zahlreichen Kritiker gestern erneut, daß er völlig ungeeignet für den Posten ist und immer mehr zu einer Gefährdung für wichtige WHO-Programme wird.
Die seit Nakajimas Amtsantritt im Juli 1988 schwelende Krise in der mit 4.500 Beschäftigten zweitgrößten UNO -Sonderorganisation erreichte am vergangenen Freitag mit dem Rücktritt des US-Amerikaners Jonathan Mann ihren vorläufigen Höhepunkt. Mann, Direktor des Aids-Programms seit dessen Start im Jahr 1986, galt weltweit als engagierter und liberaler Aids-Aufklärer und -Bekämpfer. Inzwischen ist auch Manns Verwaltungschefin zurückgetreten. Die Kampagnen seiner Abteilung zielten nicht nur auf die Verhütung der Krankheit, sondern richteten sich auch immer wieder gegen alle Versuche, Aids-Kranke zu isolieren, auszugrenzen oder in anderer Weise zu diskriminiern.
Das Aids-Programm ist das umfangreichste, aktivste und bekannteste der WHO, die wiederum als eine der effektivsten UNO-Organisationen galt. Dennoch hielt es Nakajima nicht für nötig, sich zu den Gründen für den Rücktritt Manns zu äußern. Durch seine Sprecherin ließ er den Vorwurf verbreiten, Mann sei „ohne vorherige Konsultation zurückgetreten“, und reiste am Wochenende nach Afghanistan. Auch Mann nahm bislang nicht öffentlich Stellung. In einem internen Memorandum an seine 200 Kollegen in der Aids -Abteilung erklärte er jedoch, in den letzten zwei Jahren seien „gravierende Differenzen in wichtigen Fragen“ zwischen ihm und dem WHO-Generaldirektor „immer deutlicher geworden“.
Nakajima, den das hohe Profil der Aids-Abteilung und ihres Direktors störte, hatte seit seinem Amtsantritt versucht, die Abteilung zu dezentralisieren, Teile ihrer Kompetenzen auf regionale WHO-Stellen außerhalb Genfs zu verlagern. Fachleute sahen jedoch gerade in der zentralen Genfer Zuständigkeit einen wesentlichen Grund für Manns relativen Erfolg. Die bisherige Öffentlichkeitsarbeit der Aids -Abteilung, für die ein Ex-Journalist der 'New York Times‘ zuständig war, galt unter Genfer UNO-Korrespondenten als äußerst professionell. Bereits vor vier Monaten strich Nakajima kurzerhand die Stelle. Zu öffentlichen Aussagen in allen WHO-Angelegenheiten ist nur noch seine eigene Sprecherin befugt. Auf diese Stelle setzte er die ehemalige Direktorin der Informationsabteilung der UNO in Genf, Therese Gastaud. Sie war nach massiver Kritik der Genfer Journalisten an ihrer „Informationsverhinderungspolitik“ Ende 1989 von Generalsekretär Perez de Cuellar entlassen worden.
Letzter Auslöser für Manns Rücktritt war ein Streit über die Zuständigkeit für das Aids-Problem in Osteuropa, wozu vor allen die über 600 infizierten Kinder in Rumänien gehören. Mann wollte dieses Programm von Genf aus betreiben, Nakajima versuchte es dagegen beim europäischen Aids-Büro der WHO in Kopenhagen anzusiedeln. Vor zwei Wochen verbot er Mann die Teilnahme an einer vom Kopenhagener Büro ausgerichteten Tagung.
Gefährdet ist auch das WHO-Programm für die Grundversorgung von Drittweltländern mit billigen Basismedikamenten. Das aus Sorge vor Preisverfall und dem Verlust von Absatzmärkten von den großen Medikamentenkonzernen bekämpfte WHO-Programm wird vor allem von den Niederlanden, Dänemark und Schweden finanziert. Drei Tage nach seinem Amtsantritt strich Nakajima die Gelder für das Programm zusammen und reorganisierte die zuständige Abteilung. Deren Direktor und mehrere Mit arbeiter haben inzwischen ge kündigt.
WHO-Mitarbeiter wie Genfer Diplomaten kritisieren immer schärfer die „autoritäre Amtsführung“ und „Unfähigkeit“ des WHO-Generaldirektors. „Nakajima führt die WHO wie eine Autofabrik“, lautet das Urteil einer langjährigen WHO -Mitarbeiterin. In einem vertraulichen Bericht an seine Regierung warnt der niederländische Botschafter Boddens -Hosang vor einem „Desaster“ bei der WHO und zieht Parallelen zu den schweren krisen bei der Unesco und der FAO in den 80er Jahren. Ein hoher US-Diplomat erklärte gestern, Nakajima werde „zunehmend zur Belastung“.
Bereits bei seiner Wahl im Juli 88 war der ehemalige Leiter des WHO-Regionalbüros in Asien ein äußerst umstrittener Kompromißkandidat. Obwohl mit ihm zum erstenmal ein Japaner Chef einer UNO-Organisation wurde, erhielt er nicht einmal die Unterstützung der Regierung in Tokio. Dort wußte man schon damals um Nakajimas enge Beziehungen zu dem rechtsextremen Yen-Billionär Ryoichi Sasakawa, dem Paten der japanischen Glücksspielmafia. Sasakawa, großzügiger Spender für WHO-Programme gegen Pocken und Lepra, hatte Nakajimas Kampagne für den WHO-Posten wesentlich gesponsert. Im Gegenzug brachte Nakajima zahlreiche Japaner zum Teil auf hohen Posten in der WHO unter. Der bislang für die WHO -Beziehungen zu Sasakawa zuständige, relativ junge Yugi Kawaguchi wurde von Nakajima zum Planungsdirektor, Sonderberater und Kabinettschef ernannt. In Genf wird nicht mehr ausgeschlossen, daß der Generaldirektor auf der diesjährigen WHO-Jahresversammlung im Mai gestürzt wird.
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