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Das Gespenst das Stalinismus

■ Nervenkrieg der sowjetischen Behörden gegen die Bevölkerung Litauens / Alle Privatwaffen sollen abgegeben werden / Landsbergis will sowjetisches Fernsehen unterbrechen / Gerüchte über Truppenbewegungen / Litauische Abgeordnete zeigen sich nicht beeindruckt

Moskau, Vilnius (ap) - In einem Dekret hat Präsident Gorbatschow den Bürgern Litauens eine Frist von einer Woche gesetzt, ihre privaten Waffen abzugeben. Er ordnete ferner strenge Kontrollen an den Grenzen Litauens an. Die litauischen Bürger wurden in dem gleichen Dekret aufgefordert, „die Achtung der Verfassung und der Gesetze der UdSSR zu gewährleisten“. Ausländer, die Vilnius besuchen wollen, werden bei der Erteilung von Visa Schwierigkeiten bekommen.

Postwendend antwortete Litauens Präsident Landsbergis, Gorbatschows Dekret zeige, „daß im Kreml der Geist des Stalinismus umgeht“. Das Moskauer Dekret sei null und nichtig, da Litauen seine Souveränität nicht auf die Sowjetunion übertragen habe. Landsbergis wies die Sowjetregierung darauf hin, daß sie selbst den Hitler-Stalin -Pakt und seine geheimen Zusatzprotokolle, die zur Annexion der baltischen Staaten geführt hatten, für ungültig erklärt hat. „Den Folgen dieser Erklärung“, sagte Landfsbergis, „will Gorbatschow sich jetzt aber entziehen.“

Von sowjetischer Seite aus wird inzwischen ein facettentreicher Nervenkrieg gegen Litauen geführt. Die Telefonverbindungen Litauens mit dem Ausland werden häufig unterbrochen, auf Kundgebungen prosowjetischer Kräfte wird der litauischen Regierung Abenteurertum unterstellt, Kampfhubschrauber kreisen über Vilnius und Gerüchte über Truppenbewegungen machen die Runde. Litauens Ministerpräsidentin Brunskiene forderte in diesem Zusammenhang den sowjetischen Ministerpräsidenten Ryschkow auf, Auskunft über die Zahl der Soldaten zu geben, die in den letzten Tagen nach Litauen geschickt worden sind. „Ich hoffe“'erklärte Frau Brunskiene, „daß diese Truppen nicht auf eine Weise eingesetzt werden, die für die Sowjetunion kompromittierend sein würde.“

Schärfere Töne waren von Präsident Landsbergis zu hören. Vor dem litauischen Parlament kritisierte er die Antworten Litauens auf die sowjetischen Dekrete als „zu weich“. Landsbergis schlug vor, das sowjetische Fernsehprogramm immer dann zu unterbrechen, wenn eine Einmischung in die Angelegenheiten Litauens absehbar sei. Der litauische Volksdeputierte Juselionis, wie Landsbergis Musikprofessor, nannte das jüngste Moskauer Dekret eine Geste der Hilflosigkeit. „Nicht nur wir, auch die Esten und Letten haben sich längst entschieden. Es gibt keine Umkehr mehr. Wie sollten wir sonst später unseren Kindern in die Augen sehen?“ Mit dem Hinweis aufs Völkerrecht, das die faktische Kontrolle des Territoriums als eine Voraussetzung der Anerkennung benennt, verweigern die USA nach wie vor die völkerrechtliche Anerkennung Litauens. Dem hat sich der amerikanische Senat mit 59 gegen 36 Stimmen angeschlossen.

C.S.

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