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Gigababy an H Hackermaus

■ Wer einen PC hat, der hat es gut, weil niemand da, der ihm was tut. Frei nach Wilhelm Busch kommunizieren Computercracks mit Gleichgesinnten - am grau flimmernden Bildschirm, anonym und mit jederzeitiger Rückzugsmöglichkeit.

FRANK HOLZKAMP nahm an einer solchen Online-Konferenz teil.

aß es keinen „ghost in the machine“ gibt, wissen natürlich alle, die sich einen Computer zulegen oder das erste Mal am Rechner sitzen. Geheimnisvoll genug ist die Begegnung mit der neuen Technik zunächst auch so: Auspacken, unverständliche Handbücher und Gebrauchsanweisungen lesen, Hardware zusammenbasteln, um dann etwas erfahrenere Bekannte mit dummen Fragen am Telefon zu nerven - das ist zunächst alles, was sich an neuer Kommunikationsform ergibt.

Man ist mit der Kiste alleine, und die ist auch nur über den Netzstecker mit der Außenwelt verbunden; nix von wegen globales Dorf. Bietet einem die vermeintlich so benutzerfreundliche Software eine Dienstleistung gar nur unter der fingerbrechenden Bedingung „Press ALT + SHIFT + F8 FORMAT“ an, zweifelt man nicht nur am eigenen Verstand, sondern auch an dem des Software-Herstellers. Aber: Der Ärger lohnt sich, schließlich ist die Computerei nicht zum Spaß da, irgendwann stellen sich erste Sicherheiten bei der Anwendung ein. Der Zauberwürfel wird zum Rechenknecht, der tägliche Umgang mit der Textverarbeitung läßt die liebgewonnene alte Schreibmaschine schnell vergessen.

ind die ersten Hürden genommen, blinkt der Promptpunkt nur noch blöde vor sich hin, dann - vermutlich mitten in der Nacht - erinnert man sich wieder der alten Versprechen aus Prospekten und Romanen: Datenbanken, randvoll mit den Extrakten menschlicher Genies, globale Netze, die Barrieren der Nationalitäten und Sprachen niedereißen, BIG BROTHER hat dank der demokratisierten Technik keine Chance, den Weltfrieden gibt es mangels verbleibender Verständigungsprobleme gratis dazu, kurz: Der graue Kasten auf dem Schreibtisch wartet darauf, nun endlich Teil der ebenso gefürchteten wie gepriesenen Informationsgesellschaft zu werden, ein neuer Kitzel, nein, eigentlich der alte lockt.

Ein Modem muß her, mit oder ohne Zulassung, egal, das Postmonopol ist eh gebrochen. Und: ein Terminalprogramm, mit dem man sich am besten vor dem ersten Einloggen bei einigen Trockenübungen vertraut macht. Rechnertyp und Betriebssystem spielen dabei keine Rolle, Datenfernübertragung ist mit dem billigsten Homecomputer genausogut wie mit dem allerfeinsten Super AT möglich, das Dolmetschen zwischen den verschiedenen Zeichensätzen und Kommunikationscodes besorgt eben das Terminalprogramm.

ie weltweiten Datennetze und -banken sind jetzt prinzipiell via Telefonleitung offen. Verfügt man nicht gerade über Hackerqualitäten, ist der Besuch in Datenbanken allerdings ziemlich teuer. Billiger ist eine andere Art der simulierten Kommunikation zu haben: Chatkonferenzen, der Computersmalltalk in Mailboxen.

Doch ein Geist in der Maschine? Spätestens wenn du den Satz „HACKERMAUS:) auch noch online, wa???“ geisterhaft auf dem Bildschirm erscheinen siehst und anschließend „GIGABABY:) war schon immer auf linie!!!“ aus dem Cursor quillt, ist klar, daß hier nicht die Chips das Sagen haben. Nein, es sind immer noch gemeine Sterbliche, alleine am Rechner, geschlechts- und gesichtslos, ohne Ansehen von Alter, Beruf und sozialer Stellung, die sich da eine Maske aufsetzen, genauer: eine Bildschirmmaske, und zeilenweise drauflosquasseln.

Die körperlose Anonymität macht den eigentlichen Reiz aus, ungehemmt kann die Chatkonferenz Kneipentisch und elektronischer Beichtstuhl in einem sein, das Unterbewußtsein läßt endlich mal wieder grüßen. Mittlerweile haben dich die anderen Teilnehmer vermutlich entdeckt, niemand kann einfach nur zugucken, schließlich hast du dir beim Einloggen einen Namen gegeben, hoffentlich nicht deinen richtigen. Sage also guten Tag, richte dich auf eine längere Sitzung ein und hau in die Tasten. „BATCHBABY:) schoen, dass ihr alle noch online seid, aber war wer auf der OFFLINE?“, zum Beispiel.

rgendwo muß die ganze Sache allerdings in einem Rechner zusammenlaufen, der multitaskingfähig ist, sprich: der verschiedene Aufgaben parallel bewältigt und so den heißen Telefondraht zwischen mehreren Kommunikationswütigen gleichzeitig herstellt. Das kann kein normaler PC. Die Beepshow läuft vornehmlich unter Profi-Betriebssystem Unix, kein Wunder, daß der Computerschnack auf Unirechner etabliert ist.

Noch Spezialistensache also, und so speziell sind auf den ersten Eindruck auch die Themen, die da via Dialog über den Promptpunkt verhandelt werden. Man redet über sich selbst oder besser die Kisten, an denen man gerade sitzt. Aber auch als Amateur braucht man den Gesichtsverlust nicht zu fürchten: Über die kleine, aber feine Software ist der für andere erkennbare Konferenzname jederzeit frei wähl- und veränderbar. Solltest du mit deiner Story über die Modemesse oder dem Einwand, ob die Debatte über neue Maustreiber nicht eher ein Fall für den Tierschutzverein sei, danebenliegen, verwandle dich von BATCHBABY:) zu DOSDOGGE:) und es wird Ruhe herrschen am Prompt, aber will das schon.

rag doch mal nach einem guten asiatischen Nachtlokal, wenn sich online der Magen meldet. Erscheint auf dem Monitor die Empfehlung, es gebe da eine „brasalianische Kneipe im Wedding“, erleichtert die Erkenntnis, daß Computerkenntnis nichts mit Allgemeinbildung zu tun hat. Außerdem weißt du jetzt, daß beim Chaten keine, aber auch keine Regel der guten alten Rechtschreibung oder Grammatik Gültigkeit hat, zumal noch bei amerikanischer Tastaturbelegung als Standard, z und y vertauscht ist, zum Beispiel.

Tempo zählt, scheue dich nicht, nach der Nachtmahlzeit den Kommentar: „das brasalianische kokal war yum koyten“ abzusetzen. Und, wie jeder weiß, Computercracks sind ein bißchen infantil. Lies Comics oder besser alte MAD-Hefte. Leite die Zeile mit „grunz“ ein, das macht glaubhaft. Benutze „lechz“ im Fall der Zustimmung. Bringst du ein „suuuuuuupergeil“ mit 34 U's rüber, halten dich alle für CHATMAN. Und du siehst die graue Kiste auf deinem Schreibtisch auf einmal mit ganz anderen Augen, bei aller Banalität der eilig getippten Zeilen. Selbst das leise Rauschen des Lüfters scheint dir noch eine Botschaft zuzuraunen, für einen Moment blitzt die Vision einer unendlichen Computermatrix auf, Kommunikation total.

Ein simples Stück Papier wird dich ein paar Wochen später in die Wirklichkeit zurückholen - deine Telefonrechnung.

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