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AUFRÜSTEN

 ■ O R D E N F A S S E N

Nun endlich, nach entsprechender Schamfrist und kurz vor'm Endausschlag ihres noch-Chefs, durfte die Volksbühne am Freitag Abend ihren 100. Jahrestag begehen. Zur Feierstunde reisten 90 Volksbühnen-Vereine aus der BRD und West-Berlin, der Intendant der Ostberliner Volksbühne, Fritz Rödel und Berufs-Sozialdemokrat Peter Glotz samt Festrede an. Glotz erinnerte die Volksbühne an ihre Aufgabe seit 1890, „die Bildungsschranken für minderbemittelte Arbeiter niederzureißen und zeitgenössische kritische Dramatik gegen Zensur durchzusetzen“. Damit auch „die unteren Drittel der sozialen Pyramide“ wieder straff der Kunst zugeführt werden, müsse „in einer Form für das Volk Partei ergriffen werden, die für diese Bevölkerungsschichten angemessen“ sei. Wer an Volksergreifung über diese intravenöse Schulspeisung hinaus geht, ist äh-bäh, ein Klassen-Feind, dolchstoßend an der Kulturfront: „Wer die Idee der Popularisierung verrät, gibt die Volksbühnenbewegung auf.“ Glotz geißelte weiter die „neuromantischen Seitensprünge“ eines unzeitgemäßen Spielplans der Volksbühne und rief, indem er über die Zeit, in der wir leben sprach, die so „harmlos und langweilig“ nicht sei, zur trendy Bühnenmobilmachung auf: Das „Aufbrechen eines neuen Nationalismus “ müsse auf der Bühne bekämpft werden, denn „die Ängste der europäischen Nachbarn“ seien „zu zerstreuen“. Bei solcherlei weltgeschichtlichen Zerstreuungen mochte Ost-Volksbühnenchef Rödel nicht zurückstehen und forderte massiv den Erhalt der beiden Volksbühnenhäuser, und wurde dabei vom Staatssekretär für Kultur, Hanns Kirchner, unterstützt. Die zwei Theater seien „unverzichtbarer Bestand der Kulturstadt“ und „notfalls“, also knapp vor'm Untergang des Abendlands, „notfalls zu verteidigen“.

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