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„In Rumänien werden die Faschisten die Macht ergreifen“

 ■ D O K U M E N T A T I O N

Der Philosoph Attila Ara-Kovacs kommt selbst aus Siebenbürgen. Der Dissident, der jetzt in Budapest lebt und hier die unabhängige siebenbürgische Presse mit aufgebaut hat, sieht angesichts der Entwicklung faschistischer und halbfaschistischer Organisationen in Rumänien einen Krieg heraufziehen.

taz: Nach den ganzen Ereignissen der letzten Tage ist in Siebenbürgen mit dem Schlimmsten zu rechnen. Kann es sogar einen Bürgerkrieg geben?

Attila Ara-Kovacs: Ja, natürlich, ich glaube, das ist eine mögliche Konsequenz aus der jetzigen Lage. Diese Ereignisse sind nur ein Ausdruck für den tieferen Konflikt zwischen Rumänen und Ungarn in Rumänien. Das Grundproblem der Ceausescu-Diktatur ist nicht gelöst. Nach meiner Meinung ist mit diesem Konflikt die erste Phase eines Bürgerkrieges eingeleitet. Es gibt noch einen zweiten Konflikt in Rumänien, in Bessarabien, der ebenso gefährlich ist. Wir sehen jetzt den Beginn einer faschistischen Entwicklung in Rumänien. In einer zweiten Phase, die den Konflikt auch nach Bessarabien trägt, wird sich eine Eskalation ergeben, die nicht nur für Ungarn gefährlich ist, sondern für ganz Europa. Denn die rumänische Regierung ist nicht in der Lage, diesen Konflikt zu stoppen, die steckt ja selbst mitten drin.

Haben die Ungarn zu hohe Forderungen gestellt, haben sie zuviel Autonomie gefordert?

Sicher spielen die Wahlen in Rumänien eine Rolle, aber auch ganz einfach die Geschichte. Die Ungarn haben nur Minoritätsrechte eingeklagt. Die rumänische Demokratie scheint mir nicht lebensfähig zu sein. Auf die Revolution in Temeswar folgte eine Konterrevolution in Bukarest.

Welche Kräfte stehen hinter den Pogromen in Siebenbürgen?

Es wäre zu einfach zu sagen, hinter den Brutalitäten von „Vatria Romaneasca“, der Wiege Rumäniens, stünden nur die Faschisten. Es geht bei dem ganzen Problem auch um die Regierung. Sie ist eine Puppenregierung, die keine Kraft darstellte im Kampf gegen Ceausescu, und die heute keine Kraft ist im Kampf um die Demokratie. Und es gibt die Armee, die extreme Rechte und die Nationalen Parteien, die entweder Faschisten oder Halbfaschisten sind. Alles zusammengenommen ergibt sich daraus eine Tendenz, die sich weg von Europa entwickelt.

Wie würden sie die Faschisten und halbfaschistischen Kräfte definieren, es handelt sich ja um ein neues Phänomen?

Natürlich hat der Faschismus in Rumänien jetzt sein Gesicht gezeigt. Im Januar und Februar gab es zwar schon Anzeichen für solche Tendenzen, doch blieben sie innerhalb der Rumänischen Gesellschaft verdeckt. Aber diese Organisationen, die „Vatria Rumaneasca“ und die „Eiserne Garde“, die sich anlehnt an die Römische Eiserne Garde des Altertums, waren die echten Nazis in den dreißiger und vierziger Jahren. Diese Leute wurden teilweise in die Kommunistische Partei integriert, das ist beispiellos in Osteuropa. Die „Eiserne Garde“ existiert jetzt offen, publiziert Flugblätter etc. Daneben gibt es die „Vatria Rumaneascu“, die sich nur an den ethnischen Auseinandersetzungen orientiert. Beide Organisationen sind nur die Spitze eines Eisbergs, dessen Körper eigentlich in der Bauernpartei liegt. Die „Vatria Rumaneasca“ ist eine Abteilung der Bauernpartei, die also hinter diesen Ereignissen steht. Sie bildet zudem noch eine Allianz mit der Armee. Die Schlägertrupps haben 400.000 Lei von der Bauernpartei bekommen. Und sie wurden auch mit 30 Armeefahrzeugen nach Tigru Mures geschafft.

Sind Sie sicher?

Ja, absolut sicher.

Wie tief sind die Faschisten in der Bevölkerung verankert, wieviel Unterstützung haben sie in der Bevölkerung?

Das ist eine sehr interessante Frage. Rumänien ist ein Sonderfall in Osteuropa. In allen osteuropäischen Ländern gab es vor dem Weltkrieg faschistische Parteien. Aber in diesen faschistischen Bewegungen sammelten sich säkularisierte Kräfte. Der rumänische Faschismus hatte immer und hat auch jetzt einen religiösen Kern.

Wieviele Mitglieder haben die verschiedenen faschistischen Bewegungen, „Vatria Rumaneasca“ zum Beispiel?

Nach meiner Beurteilung etwa eine Million. In Siebenbürgen gibt es sieben Millionen Rumänen. Die „Vatria Rumaneasca“ ist eine neue Organisation. Die „Eiserne Garde“ hat eine Vergangenheit, die „Vatria Rumaneasca“ eine Zukunft. Letzte tritt nur im ethnischen Kampf auf, die „Eiserne Garde“ will eine faschistische Gesellschaft und hat eine faschistische Staatskonzeption.

Sind die Ungarn die einzigen Opfer und einzigen Ziele dieses Hasses?

Nein, am 29.Januar gab es schon ein Pogrom in Rumänien, gegen Roma nämlich, in Righin, wo die Roma ungarisch sprechen und ungarische Kultur angenommen haben. Hier war das erste Pogrom, hundert Häuser waren abgebrannt, und es sind hundert Leute immer noch obdachlos, die in Friedhöfen übernachten. In dieser Zeit wurden aus Ungarn viele Hilfsgüter geschickt, darunter auch Blutplasma. Es wurde das Gerücht ausgestreut, dieses Plasma sei von den Ungarn vergiftet worden. Die Leute weigerten sich, ungarisches Blut anzunehmen. Information gab es darüber zwar, die Weltpresse hat sie aber nicht wahrgenommen. Jetzt gibt es ein anderes Pogrom, und weitere werden folgen. In anderen Städten und Dörfern wird es auch bald losgehen, in Tirgu Mures selbst bleibt es ruhig, weil jetzt aller Augenmerk auf diese Stadt gerichtet ist.

Das ist ja eine Horrorvision...

Ich bin sehr pessimistisch für Rumänien und die Zukunft ganz Europas. Natürlich wäre es jetzt richtig, die bestehenden Grenzen anzuerkennen, gerade in der jetzigen Situation, denken Sie an Deutschland und Polen. Doch nach diesen Jahren der Diktatur zeigt es sich, daß man in Rumänien nicht in der Lage ist, sich nach Europa zu orientieren. Rumänien kann nicht in seiner jetzigen Form existieren. Die Grenzen müssen verändert werden, oder es wird hunderttausend Opfer in einem Bürgerkrieg geben.

Was meinen Sie damit, die Grenzen zu modifizieren?

Wir wollen nicht über Grenzen sprechen, wir, die Oppositionellen, die jetzt das erste Mal hier in Ungarn an den Wahlen teilnehmen dürfen. Aber wir müssen. Denn die Leute hier in Ungarn werden darüber sprechen.

Interview: Paul Hockenos

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