: Der Europarat fühlt sich im Aufwind
■ Optimistisches Außenministertreffen in Lissabon / Sonderkonferenz zu europäischen Flüchtlingsfragen geplant / Erstmals Teilnahme osteuropäischer Länder / UdSSR will Kulturkonvention beitreten / EG-Präsident Delors warnt Europarat vor „Kompetenzüberschreitung“
Berlin (taz/afp/dpa) - Die älteste bestehende supranationale Organisation in Europa will aus dem Schatten der großen Blöcke treten: Bei der Arbeit an einer „neuen europäischen Architektur“ möchte der 1949 gegründete Europarat vor allem in seinen traditionell starken Bereichen Menschenrechte, Kulturaustausch, Minderheiten und Rechtsprechung mitmischen. Das machten die Außenminister der 23 bisherigen Mitgliedsländer auf einer zweitägigen Sonderkonferenz am Wochenende in Lissabon deutlich. In einer eigenen Sonderkonferenz will sich der Europarat außerdem mit Flüchtlingsproblemen auf dem alten Kontinent befassen. Erstmals waren auch die Sowjetunion, die CSSR, Polen, Ungarn, Bulgarien, Jugoslawien und die DDR als Beobachter vertreten.
Einig waren sich die Versammelten auch in dem frommen Wunsch, das künftig größere Deutschland möge ein „Staat wie jeder andere“ werden und keinen Sonderstatus einnehmen. Die Absichtserklärungen von Bundesaußenminister Genscher zur deutschen Einheit wurden von allen Seiten begrüßt.
Weniger schnell mochten die Mitglieder einem Beitritt der Sowjetunion zur europäischen Kulturkonvention zustimmen. Ein solcher Schritt, so argumentierten die Gegner, würde den Anfang für eine generelle Aufnahme der Sowjetunion in den Europarat bilden. Die Entscheidung darüber wurde auf Drängen einer starken Minderheit vertagt.
Keinesfalls werde der Europarat seine „hohen Anforderungen an Demokratie und Menschenrecht“ herunterschrauben, erklärte Generalsekretärin Catherine Lalumiere. Deswegen werde man die Entwicklung in den osteuropäischen Ländern genau beobachten. Ungarn könne möglicherweise noch im Jahr 1990, Polen vielleicht 1991 beitreten.
Der Europarat ist fast überall in Osteuropa, wo er jahrzehntelang ein weißer Fleck war, neu entdeckt worden: Jugoslawien, Ungarn und Polen haben bereits Anträge auf Vollmitgliedschaft gestellt, die übrigen Länder warten auf den Gästestatus oder haben ihn bereits. Einzig Rumänien blieb dem Treffen in Lissabon fern, signalisierte jedoch schriftlich Interesse an Kontakt.
Unbeeindruckt von den Vorbehalten der Altmitglieder erklärte der sowjetische Vizeaußenminister Juri Kaschlew in Lissabon, er glaube, daß der „Europarat der Sowjetunion und Osteuropa die Türen öffnet“. Außenminister Schewardnadse, der selbst nicht nach Portugal gereist war, hatte in der Zeitung 'Moskau News‘ den Europarat neben der KSZE als Forum für die Überwindung der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Spaltung in Europa bezeichnet. Von dort aus könne der gesamteuropäische Raum „vom Atlantik bis zum Ural“ entwickelt werden. Selbst eine Mitgliedschaft von USA und Kanada im Europarat hält Schewardnadse für möglich.
Die weitgehende Perspektivdiskussion im Europarat rief bereits den Präsidenten der EG-Kommission, Jacques Delors, auf den Plan. Er warnte in Lissabon davor, den Europarat zu überschätzen. „Die ausschlaggebende Rolle, die die Europäische Gemeinschaft hinsichtlich des Einigungsprozesses in Europa spielt“, dürfe auf keinen Fall negiert werden. Der Europarat sei lediglich ein „Hüter der demokratischen Werte“, wies der Präsident des elitären Klubs der westeuropäischen Staaten die ambitionierten Gesamteuropäer in die alten Grenzen.
Dorothea Hahn
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