: Giftgas-betr.: "Es liegen noch mehr Kampfstoffe hier", taz vom 21.3.90
betr.: „Es liegen noch mehr Kampfstoffe hier“,
taz vom 21.3.90
Man kann Julius Lehlbach dankbar sein, daß er noch einmal klipp und klar und begründet dargelegt hat, daß mit dem hoffentlich erfolgenden Abzug der Giftgasmunition aus dem Depot bei Clausen nach wie vor chemische Kampfstoffe in der Bundesrepublik gelagert sind. Es ist für mich schwer verständlich, daß viele Menschen - vor allem in der Westpfalz -, die über Jahrzehnte belogen wurden, der geschickten „Informations„-Public-Relations-Aktion der Politiker und Militärs nicht mehr Mißtrauen entgegenbringen. Auch wenn inzwischen feststeht, daß große Mengen Giftgasmunition im Depot Clausen gelagert sind, sind wie Julius Lehlbach zu Recht feststellt, die Zweifel, daß dies nicht alles ist, bei weitem nicht aus der Welt.
So war bisher in den USA immer die Rede davon, daß sechs bis acht Prozent des US-Giftgases auf dem Gebiet der Bundesrepublik deponiert seien. In Clausen lagern aber „nur“ etwas weniger als ein Prozent. Julius Lehlbach hat auf die alten Kriegsbestände Frankreichs hingewiesen. Im Sommer 1948 wurden aus den USA ein Vierteljahr lang große Mengen Giftgas durch den Nordenhamer Midgard-Pier in die amerikanische Besatzungszone eingeführt.
Fragen stellen sich zuhauf. Warum wurde erst jetzt nach der Veröffentlichung über das Giftgas im Clausen-Depot um dieses Depot ein weiterer Zaun gezogen? Warum war bislang das Clausen-Depot ein beliebter Orientierungs- und Anflugspunkt für militärische Tiefflüge? Nachdem das US-Fischbach-Depot über Jahrzehnte als Hauptgiftgaslager in der Westpfalz galt und noch immer starke Vermutungen dafür sprechen, daß dort eben doch auch Giftgasmunition gelagert ist, warum entzieht man diesen Vermutungen nicht einfach dadurch jeden Boden, daß man die Öffentlichkeit ebenso über das aufklärt, was im Fischbach-Depot lagert, wie man es jetzt über das Clausen -Depot getan hat? Warum patrouillieren nach wie vor GIs in ABC-Schutzanzügen im US-Fischbach-Depot? Warum sagt man nicht klipp und klar, wann und auf welchem Wege die alte Giftgasmunition (also die heute nicht mehr transportfähige) bereits früher abgezogen worden sein soll? Warum die Geheimnistuerei über die Transportstrecke von Miesau nach Nordenham, wo doch jedermann weiß, daß lediglich zwei Bahngleis-Streckenführungen in Frage kommen?
Ich halte folgende Antwort für gerechtfertigt: Die Bevölkerung soll mit neuen Methoden über den wahren Umfang des Abtransportes von Giftgasmunition getäuscht und damit beruhigt werden. Wenn nur ein Teil der vor allem in der Westpfalz gelagerten Giftgasmunition transportfähig ist, was liegt dann näher, als unter dem Deckmantel der Geheimhaltung nur die Giftgasmunition abzutransportieren, die relativ ungefährlich in die USA zurückgebracht werden kann. Die transportunfähige Giftgasmunition bliebe dabei (vielleicht vorerst, vielleicht für immer) im US-Giftgasdepot Fischbach und eventuell auch anderswo deponiert. Das wissen dann wieder nur höchste Geheimnisträger. Denn wer will überprüfen können, ob das gesamte Giftgas abtransportiert wurde, wenn es über die gelagerten Mengen, über die einzelnen Giftgasdepots und über den Transport keine öffentliche Kontrolle gibt?
An Julius Lehlbach ganz persönlich gewandt: Auch ich werde solange „querulieren“ und bei Aktionen dabei sein, solange nicht nachweisbar alle Giftgasmunition aus der BRD weggeschafft und ebenso eindeutig geklärt ist, daß wir von der Lagerung der neuen binären Giftgasmunition verschont bleiben. Darüber hinaus dürfen wir nicht Ruhe geben, solange ABC-Massenvernichtungswaffen die Menschheit und das ganze Leben auf der Erde bedrohen, ganz gleichgültig, wo dieses Teufelszeug gelagert ist.
Klaus Vack, Sensbachtal
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