Handwerker-Halali

Polen: Viele Kleinunternehmer arbeitslos Kostenexplosion / Aber auch viele Neugründungen  ■  Mit dem GOLDENEN BODEN auf du und du

Warschau (taz) - „Heutzutage ist der Handwerker eine zum Abschuß freigegebene Gattung“, findet Jerzy Rogala-Lewicki, einstmals Vorsitzender der Handwerker-Solidarität von 1980, die jetzt langsam wieder entsteht. Das schwere Los der Kleinbetriebe sorgt für Unmut. Unter Handwerkern versteht man in Polen nicht nur Installateure und Hydrauliker, sondern im Grunde jede Art von Kleinunternehmen, vom Fotografen bis zum Taxifahrer. Bisher ging es vielen von ihnen recht gut, aufgrund der Mangelwirtschaft konnte man in manchen Sparten sogar regelrechte Vermögen anhäufen. Diese Zeiten sind nun vorbei: Seit Jahresanfang erhöhten sich die Steuern im Vergleich zum Vorjahr um das Achtfache, die Sozialabgaben von 38 auf 42 Prozent und die Lohnsteuer von 13,5 auf 20 Prozent. Zugleich stiegen die Energiekosten um 400 Prozent und die Vermieter erhöhten den meisten Handwerkern die Lokalmieten ebenfalls drastisch. Das zwang die Kleinbetriebe ihrerseits dazu, die Preise zu überwälzen, sprich derart nach oben zu schrauben, so daß die Nachfrage ausblieb.

In Warschau haben daher im Januar 674 Dienstleistungsbetriebe aufgegeben, 1.258 weitere ihre Tätigkeit ausgesetzt. Kritiker der Wirtschaftspolitik der Regierung sprechen von mehreren zehntausend geschlossenen Betrieben. Im gleichen Zeitraum wurden allerdings allein in Warschau 890 neue Dienstleistungsbetriebe gegründet. Olsztyn meldete sogar wesentlich mehr Neugründungen als Abmeldungen. Jerzy Rogala-Lewicki beruhigt dies nicht, wie er der Wochenzeitung 'Po Prostu‘ erklärte: „Es schließen vor allem große Firmen, für die außer den Mieten und Steuern besonders die Sozialabgaben eine besondere Belastung darstellen.“ Die neuentstehenden Betriebe seien dagegen vor allem Einmannbetriebe ohne Infrastruktur: Fensterwäscher, Taxifahrer, die keine Lokalitäten benötigten. Diese allerdings erscheinen meist überhaupt nicht in der Statistik, da sie zwecks Steuerhinterziehung ihr Geschäft erst gar nicht anmelden. In Warschau, so sagen Handwerker, seien bereits ehemalige Kleinunternehmer arbeitslos.

„Es ist nicht wahr, daß diese Verluste unumkehrbar sind“, findet selbst die 'Polityka‘, die ansonsten dem Wirtschaftsprogramm der Regierung durchaus kritisch gegenübersteht. Tatsächlich geht es den Handwerkern nicht wesentlich schlechter als anderen Branchen: Überall stiegen die Energiekosten und Steuern genauso, überall wurden die Kredite teurer, obwohl das Zinsniveau im Augenblick noch unter der Inflationsrate liegt. Einen Nachteil haben die Kleinbetriebe allerdings: Sie brauchen Lokalitäten, und die sind in Polen Mangelware. Bei gleichzeitiger Preisfreigabe, wie dies für das Jahresende geplant ist, werden die Mieten noch stärker in ungeahnte Höhen schießen. Schon jetzt räumen viele Schuhmacher und Uhrmacher das Feld, statt dessen ziehen dann Wechselstuben und Importboutiquen dort ein. Aber nur solange, meinen Optimisten, bis es auch davon zuviele gibt und die Nachfrage zurückgeht. Dann könnten die Räumlichkeiten leerstehen und die Mieten wieder sinken, wie einige hoffen. Kommen dann die Handwerker zurück? Doch das kann angesichts des Ungleichgewichts auf dem Wohnungsmarkt Jahre dauern. „Wo werden wir dann in der Zwischenzeit die Schuhe reparieren?“, fragt sich die 'Polityka‘.

Klaus Bachmann