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Riesiger Andrang auf den Zivildienst

■ Ab 7. Mai stehen in der DDR Zivi-Plätze zur Verfügung / Die Hälfte der Rekruten will verweigern

Berlin (dpa) - Für den 18jährigen Thomas ging es gleich nach der Arbeit aufs Arbeitsamt. In Zimmermannskluft, den Zollstock an der Seite, die Arbeitsschuhe über der Schulter, wartet er auf seine Beratung. Vor drei Tagen war er in Ost -Berlin zur Musterung. Auf die Frage - „Wollen Sie Zivildienst machen oder NVA?“ - fiel ihm die Antwort nicht sonderlich schwer: „Jetzt, wo es kein Feindbild mehr gibt, ist die ganze NVA doch Schwachsinn. Zivildienst ist wenigstens noch was Nützliches.“

Auf den DDR-Arbeitsämtern werden in diesen Wochen die ersten „Zivis“ in der Geschichte der DDR über ihre Einsatzmöglichkeiten informiert: Für die Premiere am 7. Mai stehen bis jetzt rund 23.000 Zivildienstplätze zur Verfügung, das Gros im Gesundheits- und Sozialwesen, einige auch im Umweltschutz. Zwölf Monate dauert der neue „Dienst am Volke“, dreimal zwei Monate können die Zivildienstleistenden nach Abschluß der Dienstzeit noch zu Einsätzen herangezogen werden.

Den 23jährigen Klaus, seit sechs Monaten als Aufklärer bei der Artillerie, trieb es gleich nach der DDR-Wahl aufs Arbeitsamt: „Vor der Wahl hatte ich noch Hoffnung, daß die Armee aufgelöst wird. Aber nach der CDU-Wahl ist das jetzt vom Tisch. Jetzt wird verweigert.“

Dabei ist der Armeedienst jetzt so locker wie nie zuvor: Der früher obligatorische Frühsport ist in seiner Kaserne abgeschafft, nur noch 50 Prozent der Rekruten müssen ständig in der Kaserne anwesend sein, seit neuestem gibt es dort abends Bier, zusätzlich wurde der Sold von 150 auf 250 Mark monatlich angehoben. Doch mit diesen Lockerungen hat sich unter den Rekruten auch die Langeweile breit gemacht. Derzeit, so Klaus, beschäftige man sich mit „Reinigungs- und Wartungsarbeiten“. Da die Ersatzteile jetzt aber bevorzugt an die Betriebe gehen, solle man Fahrzeuge und Waffen „mit Holz und Nägeln reparieren“.

Der Ausstieg aus der Armee wird den frustrierten Sodaten durch die „Verordnung über den Zivildienst“ leichtgemacht. Sie geben ihre Zivildiensterklärung bei ihrem Kommandeur ab, der leitet sie an das zuständige Arbeitsamt am Wohnort des Rekruten weiter. Eine „Gewissensprüfung“ gibt es nicht, mit Erhalt seines „Feststellungsbescheides“ wird der Rekrut als Zivildienstleistender anerkannt.

Von dieser Regelung wird in der NVA derzeit ausgiebig Gebrauch gemacht: Bisher stellten rund 13.500 Grundwehrdienstleistende einen Antrag auf Zivildienst, nach Schätzungen des Ministeriums für Arbeit und Löhne werden in den nächsten Wochen „mindestens 50 Prozent“ der Rekruten 35.000 bis 40.000 Mann - auf diesem Wege die Armee verlassen. Doch schon jetzt ist absehbar, daß nicht alle Antragsteller ihren Dienst am 7. Mai antreten können. Der Andrang ist so groß, daß die frisch Gemusterten, die sich für den Zivildienst entscheiden, zu einem späteren Zeitpunkt herangezogen werden sollen.

Der Sektorenleiter Recht/Öffentlichkeit im Bereich Zivildienst, Klaus Pollmer, ist sich sicher, daß die DDR mit ihrer Zivildienstordnung eines der „liberalsten Verweigerungsrechte der Welt“ geschaffen hat: Für niemanden gebe es eine Gewissensprüfung, auch sehe der Zivildienst keine Heranziehung zu bestimmten Arbeiten im Verteidigungsfall vor. Die Bundesrepublik, so Pollmer, könne vielleicht vom DDR-Modell lernen, schließlich laufe ihre Kriegsdienstverweigerungs-Ordnung am 31. Dezember dieses Jahres aus: „Mit konföderalistischen Strukturen oder mit der Öffnung der Grenzen wird die DDR dann für BRD -Kriegsdienstverweigerer zum El Dorado. Und das sehe ich positiv.“

Ernst-Ludwig von Aster

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