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Gefundenes Fressen für Kredithaie

■ Deutscher Familienverband warnt vor trickreichen Geschäftemachern in Aus- und Übersiedlerwohnheimen / Viele DDR-Bürger sind dem enormen Konsumangebot im Westen nicht gewachsen / Informationsbroschüren sollen „Schuldenkarrieren“ verhindern

„Wenn sich ein Übersiedler aus der DDR verschuldet, dann gleich konsequent“, sagt Christoph Wenner, Pädagoge beim Deutschen Familienverband. Viele Aus- und Übersiedler stünden dem ungewohnt großen Konsumangebot im Westen unkritisch gegenüber, und seien daher „ein gefundenes Fressen für trickreiche Geschäftemacher“. Sie würden sich in dubiose Geldgeschäfte verstricken, bis sie zuletzt vor einem unüberschaubaren Schuldenberg stünden.

Der Deutsche Familienverband, eine Mitgliedsorganisation des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, hat deshalb vor gut einem halben Jahr eigens eine Beratungsstelle für Aus- und Übersiedler eingerichtet, um die neuen Bürger vor der „finanziellen Schuldenkarriere“ zu schützen. Vier Mitarbeiter sind ständig auf Achse und versuchen die Aus und Übersiedler auf Informationsveranstaltungen vor Kredithaien und verlockend günstigen Ratenkäufen zu warnen.

„Die Einstiegsdroge für die Verschuldung“ sieht Wenner im sogenannten Einrichtungsdarlehen. Der Staat leiht dem Übersiedler bis zu 10.000 Mark, um seinen neuen Haushalt einzurichten. Ein ungeheuerer Erfolgszwang führe dann bei vielen Aus- und Übersiedlern zu einem „Demonstrationskonsum“. „Die müssen doch zeigen, daß sie es hier zu etwas gebracht haben. Manche mieten sich hier für teures Geld ein Auto und fahren damit nach Polen“, erzählt Wenner. Über Ratenkäufe würden Neuanschaffungen finanziert. „Manche bezahlen eher den Kreditzins für den neuen BMW als die Miete für die Wohnung“, fügt Wenner hinzu.

Das Hauptproblem aber sind die Versicherungen. In den Übergangswohnheimen treiben schon seit Monaten zwielichtige Geschäftemacher und Versicherungsvertreter ein übles Spiel. Die meisten Übersiedler wüßten überhaupt nicht, so Wenner, daß Versicherungen in der BRD nicht obligatorisch sind, und würden häufig gleich ganze Versicherungspakete kaufen. „Dabei hat sich leider herausgestellt, daß Aus- und Übersiedler immer die teuersten Versicherungen abschließen, weil nur die großen Versicherungen ihre Vertreter in die Heime schicken.“

Aber nicht nur die teuersten, sondern mitunter auch vollkommen sinnlose Verträge werden hier abgeschlossen. „Die wissen oft gar nicht, wofür und wie hoch sie versichert sind“, sagt Wenner und erzählt von einem Fall, bei dem sich ein Übersiedler für sein möbliertes Wohnheimzimmer eine Hausratversicherung hat aufschwatzen lassen. Ein anderer wiederum schloß extra eine Glasbruchversicherung für sein Zimmer im Heim ab. Dabei betrage die Laufzeit der Verträge meistens auch noch zehn Jahre. Inzwischen schicken einige Versicherungen auch polnischsprachige Vertreter in die Wohnheime, die schnell das Vertrauen von polnischen Aussiedlern gewinnen.

Unkenntnis in diesen Kreisen herrscht auch über das hiesige Sozialsystem mit seinen staatlichen Leistungen. Viele Neubürger schließen Zusatzversicherungen für den Krankheitsfall ab, obwohl sie zum Personenkreis gehören, für den eine besondere Härtefallregelung gilt.

Gegen diese üble Finanzpraxis will der Deutsche Familienverband jetzt verstärkt vorgehen. In Sprachenschulen, Volkshochschulkursen und in den Übergangswohnheimen machen die Mitarbeiter jetzt gezielt auf die Probleme aufmerksam. Sie verteilen Broschüren über Ratenkauf, Kredite, Leasing und Versicherungen, die es auch in Polnisch gibt. Sie gehen dabei nicht nur auf Verbraucherprobleme ein, sondern leisten auch Übersetzungshilfen.

Obwohl die Zahl der Aus- und Übersiedler zurückgeht, müsse die Arbeit fortgesetzt werden, meint Manfred Omankowsky, Landesvorsitzender des Deutschen Familienverbandes. „Wir müssen nicht nur hier die Leute beraten, sondern gerade die Leute in der DDR. Die werden bald die gleichen Probleme mit der freien Marktwirtschaft haben wie heute die Übersiedler hier.“

Julia Schmidt

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