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Harich: „Ich wollte die DDR beseitigen“

Kassationsverhandlung in Sachen „konterrevolutionäre“ Gruppe Harich  ■  Aus Berlin Stefan Schwarz

Fast betulich hatte man sich noch Anfang Januar dieses Jahres auf die Rücknahme des Urteil gegen Janka und Gefährten geeinigt, und reichlich Öffentlichkeit war den abwesenden Märtyrern der Ulbricht-Diktatur gewiß.

Die drei vergangenen Monate haben Zeit und Ton gründlich geändert. Die laue Einmütigkeit ist gewichen. Generalstaatsanwalt Joseph, der noch vor kurzem gegen das Votum der Ärzte den frisch operierten Honecker einkerkerte, versah sich in seiner Begründung des Kassationsantrags Steinberger / Hertwig zunächst erst mal mit der Gnade der späten Geburt, um dann dem Auditorium das dunkle Rätsel aufzugeben, warum in jener fernen Vergangenheit Menschen wegen verfassungsgerechter Meinungsäußerung und arglosem Dialogbegehren zu Kriminellen gestempelt werden konnten. Er gelangte darauf auch gleich zum befreienden Kurz-Schluß, der da lautete, daß eine politische Justiz nie gerechter sein könne als die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Staatsanwältin Krömke, die den Kassationsantrag Harich begründete, war sich gleich dem Generalstaatsanwalt sicher, daß alle Angeklagten brave Bürger gewesen seien und minichten der DDR ans junge Dasein gewollt hätten, wie es ihnen im Prozeß des Jahres 1957 vorgeworfen wurde.

Widerspruch zu solch leichtfüßigen Thesen hieß der Tenor der folgenden Auftritte. Rechtsanwalt Prof. Dähn, der den erkrankten Bernhard Steinberger vertrat, verlangte eine Rehabilitation über den gerichtlichen Widerruf hinaus. Allein juristisch sei diese Vergangenheit nicht zu bewältigen. Rechtsanwalt Dr. Wolff vermochte in seinem Plädoyer die vom Generalstaatsanwalt gebuchte Gnade unschuldiger Jugend nicht für sich reklamieren, da er schon im zur Kassation stehenden Prozeß die Verteidigung Manfred Hertwigs übernommen hatte. Er wollte darum auch keinen vorschnellen Freispruch, der alles Vergangene bloß als Willkür und Schrecken denunziert, sondern versuchte die Erklärung über den Konflikt zwischen idealem und realem Sozialismus, über den Konflikt der am Prozeß Beteiligten, die doch alle einer Partei angehört hatten, und sich nur durch Mittel unterschieden, mit denen sie ein einziges Ziel verfolgten.

Der Auftritt Wolfgang Harichs nun machte das Tribunal zur Szene. Harich hatte für diese Verhandlung seinen Rechtsanwalt wegen „Oberflächlichkeit“ aus der Pflicht genommen und verteidigte sich höchstselbst. Er forderte die Veröffentlichung der Stasi-Geheimdossiers, der Stasi -Vernehmungsakten sowie der Gerichtsakten, um die Lügengespinste über dem Prozeß zu zerreißen, und tat denn auch ein selbiges. Das Wichtigste an seinem damaligen Wirken und dem seiner Gefährten wäre die Einheit Deutschlands gewesen, und zwar in einer Form, die sich von dem jetzigen Anschluß vorteilhaft unterschieden hätte. O-Ton Harich zu den gegenteiligen Unschuldsbeteuerungen der Staatsanwälte: „Es ging mir sehr wohl um die Liquidation der DDR.“ Dieses Einheitsbegehren samt SPD-Bündnis, Stasi-Auflösung, Entmilitarisierung wäre aber von der damaligen Führung bewußt aus dem Prozeß gedrückt worden und bis auf den heutigen Tag in der DDR unbekannt. Überhaupt wäre die gesamte Tätigkeit der Gruppe dem stalinisierenden Ulbricht bekannt und der Prozeß nur ein „Theater“ gewesen, um ein Exempel zu statuieren. Er wundere sich, warum es heute noch so schwierig sei, diese Wahrheit zu verbreiten. Wahrscheinlich solle er auch heute wieder als unbequemer Zeitgenosse ausgeschaltet bleiben.

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