: Linke Politik: Fragen sammeln
■ BremerInnen formulieren ihre Ratlosigkeit in der „nationalen Frage“: Ein Drama in drei Akten und Zwischenspielen
Prolog: Über die „Linke und die nationale Frage“ wollten am Dienstag Abend 60 DiskutantInnen auf Einladung der Marxistischen Abendschule (MASCH) streiten. Als Podiumskontrahenten hatte die MASCH den Marburger Politologen Frank Deppe und den Hamburger „Ökokommunisten“ (Eigenbezeichnung) Thomas Ebermann ins Veranstaltungsrennen geschickt.
1. Akt, 1.Szene: „Nationalismus“, so referierte Deppe einleitend, „ist immer eine politische Erscheinungsform gewesen, die von der Linken immer bekämpft wurde“. „Stimmt gar nicht“, konterte Ebermann: „Die vaterlandslosen Gesellen sind eine nostalgische Verschönerung linker Geschichte.“ Es gebe bis heute in diesen Spektren keine antinationalistische Tradition. Angesichts der zu befürchtenden Wiedervereinigung sei es endlich an der Zeit, die Niederlage zu akzeptieren. Wer behaupte, man müsse der Wiedervereinigung ins Auge sehen und das beste daraus machen, gebe sein Einverständnis zu reaktionärer Politik und „lügt das Blaue vom Himmel herunter. Man muß sehen, daß viele in der DDR die CDU wahrscheinlich aus dem Grund gewählt haben,
weil Helmut Kohl die polnische Westgrenze nicht anerkennt.“
2. Akt: Das wollte Frank Deppe nicht auf sich sitzen lassen. Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Lenin und Marx rief der Professor als ZeugInnen an, die seine These vom aktiven Eingreifen in die Wiedervereinigung bestätigen konnten („Wie Karl Liebknecht 1915 sagte ..., wie Rosa Luxemburg schon 1914 sagte ..., wie Lenin in seiner Imperialismustheorie richtig feststellte ..., wie Karl Marx und(!) Friedrich Engels schon wußten...): „Die Kraft der Negation führt dazu, daß wir uns aus dem Gestaltungsprozeß verabschieden“, mahnte der Professor. „Es sei dringend an der Zeit, im Prozeß der Kritik Möglichkeiten und Perspektiven aufzuzeigen, die den Prozeß beeinflussen.“
Auftritt das Volk in fünf Zwischenspielen. 1: Die Wiedervereinigung ist ein primitiver, imperialistischer Akt. 2: Von einem
Wiedervereinigungstaumel kann keine Rede sein, die Position Ebermanns zeugt von reinem Wohlstandschauvinismus. 3: Nationalismus ist ein Trick der Herrschenden, um das Volk bei der Stange zu halten. Die wahren Interessen des Kapitals sind internationalistisch ausgerichtet. 4: Wir sind vom Knackpunkt noch weit entfernt. Gibt es denn keine wissenschaftliche Erklärung für das, was sich zur Zeit ereignet? 5: Das Trauma vom 9. November hat offensichtlich weitere Kreise gezogen als bis zur DKP. Was da passiert ist, beruht auf 40 Jahren ökonomischen Drucks (Volk ab).
3.Akt: Auftritt der Helden. Frank Deppe: Die Probleme der Linken sind nicht nur die notwendigen Analysen der Ereignisse, sondern sind viel größer. „Schließlich haben die sich selbst ruiniert, und niemand kann mir erzählen, daß ihm das Herz übergegangen ist, wenn er durch die Grenze gefahren ist.“ Eine Stand
ortbestimmung stünde nun an zum Kampf gegen den Imperialismus. Thomas Ebermann: Wer zu diesem Zeitpunkt Wissenschaftlichkeit einklage, verlange erneut nach einem Korsett. Das Dilemma, in dem linke Politik stecke, sei der Maßstab von Konsum und Freizeit. „Wer diesen Maßstab aufrecht erhält, wird doppelt untergehen“. Interessant seien jetzt Lebensformen, die außerhalb des Dualismus von Demütigung und Entschädigung (Arbeit und Konsum) liegen, da interessiere nicht die Frage, ob der Paragraph 23 geeignet ist für die Wiedervereinigung oder nicht. „Man kann nicht immer sagen: Wir hätten uns was besseres vorstellen können, aber jetzt rein in die Scheiße.“ (Helden ab.)
Epilog: „Fragen sammeln als Verdienst an sich“ sei schon toll für eine Veranstaltung, freute sich MASCH-Moderatorin Doris Hülsmeier am Ende der Veranstaltung (Linke ab). ma
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