Gleich hinterm Alex um die Ecke...

■ Ein Stück altes Preußen - das viele nicht kennen: Die uralte Königsvorstadt und die Spandauer Vorstadt / Ein Spaziergang mit der taz zwischen Sophienkirche und Neuer Synagoge

Die Hohenzollernprachtstraße „Unter den Linden“ herunterspaziert zu sein, das Nicolaiviertel durchschlendert und sich über den windigen Alexanderplatz gelangweilt zu haben, das kann inzwischen wohl schon jeder Ost-Berlin -Besucher von sich behaupten. Doch wohin jetzt, muß er sich fragen, wenn er unentschlossen hinter dem Alex an der Ecke Karl-Marx-Allee/Hans-Beimlerstraße steht. Früher hieß die Hans-Beimler-Straße „Neue Königsstraße“ und führte, vom „Königstor“ kommend, in die hier einst beginnende „Königsvorstadt“. Der Krieg sorgte für nicht mehr zu schließende Lücken und die nachfolgende Einheitsideologie schließlich für Einheitsbauten. Doch die Reste der alten Königsvorstadt und die sich daran anschließende Spandauer Vorstadt nördlich von Alexanderplatz und Museumsinsel sind bis heute erhalten. Die Sanierung dieser zum Stadtbezirk Mitte gehörenden alten Stadtviertel hat erst in den letzten Jahren begonnen, und so wird man hinter der Baustellenwüste in der Münzstraße oder dem nach Abriß aussehenden Gelände neben dem U-Bahnhof „Rosa-Luxemburg-Platz“, nichts Aufmerksamkeit Heischendes mehr vermuten. Doch die lange Geschichte dieses zwischen Oranienburger Tor und Linienstraße liegenden Gebietes begann bereits vor dem 30jährigen Krieg und konnte sich bis in unsere Zeit herüberretten. Ende des 17. bis Anfang des 18. Jahrhunderts wurde die nördlich des historischen Stadtkerns gelegene Feldmark bebaut. Die weiter in den Norden führenden Straßen nach Hamburg, Spandau, Oranienburg und anderen Orten wurden Bestandteil und Grundgerüst der entstehenden Stadt. Ihr vorläufiges Ende fand sie am heutigen Verkehrsknotenpunkt Oranienburger Tor. Die am U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz vorüberführende Linienstraße markierte der Palisadenzaun, den Friedrich Wilhelm I. 1734 bauen ließ und der als Zollgrenze diente und Barriere für seine Soldaten sein sollte, um sie an der Flucht aus dem preußischen Drill zu hindern. Gemeinhin wurde der Zaun als Linie bezeichnet und führte so zu der Straßenbezeichnung. Um diese als Scheunenviertel bereits mehrfach in den Schlagzeilen aufgetauchte und dringend sanierungsbedürftige Altbausubstanz bemüht sich eine Bürgerinitiative, die vor allem den weiteren Abriß des historischen Viertels verhindern möchte. Weiter die Straße hinunter gelangt man zu einem Friedhof, dessen Eingang sich in der Kleinen Rosenthaler Straße befindet. Es ist der 1722 noch vor den Toren der Stadt angelegte und rund 200 Jahre lang benutzte Garnisonsfriedhof. Stadtkommandanten, Generalleutnants und Konteradmiräle fanden hier ihre Ruhe, und auch das Grab einer so berühmten Persönlichkeit der Befreiungskriege wie Adolf von Lützow ist hier zu finden. Leider muß man sagen, daß der Zahn der Zeit und die wie überall im Scheunenviertel knappen Mittel für Restaurierung die Anlage in einen erbarmungswürdigen Zustand gebracht haben. Weiter entlang auf der Route, kreuzt man die Mulack- und die Steinstaße. Eine früher äußerst verruchte Gegend mit Prostitution und viel Elend unter der hier lebenden Bevölkerung. Die Steinstraße Nr.21 zum Beispiel soll früher ein Bordell gewesen sein. Von der verkehrsbelebten Rosenthaler Straße kann man in die ruhige und ausgesprochen beschauliche Sophienstraße abbiegen. Hier wurde bereits saniert, und dem Auge des Betrachters bieten sich unendlich viele reizvolle Details: der Eingang zum „Haus des Berliner Handwerks“ zum Beispiel, der im Jugendstil bemalte Treppenflur der Nr.22 oder die Sophienkirche, die man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte. Danach links in die Große Hamburger abgebogen, hört die Idylle schlagartig auf, und die Einschußlöcher in den Häuserwänden stimmen auf einen der dunkelsten Abschnitte unserer Geschichte ein. In dieser Straße befand sich einst das Zentrum des jüdischen Gemeindelebens in Berlin mit Jüdischer Knabenschule, Jüdischem Altenheim und dem ältesten, 1672 angelegten Jüdischen Friedhof Berlins. Das Altersheim wurde unter den Nazis zu einer Sammelstelle für die Judentransporte, mit denen 50.000 Berliner Juden in den Tod geschickt wurden. Am Ende der Großen Hamburger kann man in die Oranienburger Straße rechts einbiegen und gelangt auf der rechten Seite zu der nach jüngsten Initiativen wieder im Aufbau befindlichen Ruine der „Neuen Synagoge“. Die 1859 von Ernst Knoblauch im maurisch-arabischen Stil begonnene Synagoge stellte im 19. Jahrhundert einen der prachtvollsten Sakralbauten Berlins dar. In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 wurde sie zerstört und 1943 endgültig ein Opfer der Bombenangriffe. In der Oranienburger Straße finden sich allerdings noch weitere Gebäude, die den Krieg überstanden haben und der Straße ihr Gesicht geben. So beispielsweise das Haupttelegraphenamt, in dem 1865 die erste Rohrpostanlage Weltpremiere hatte; das Institut für Post- und Fernmeldewesen, wovon das ältere Gebäude früher das Freimaurer-Ordenshaus war; das ehmalige Postfuhramt, ein auffälliger Bau aus farbigen Terrakottaziegeln, das Wohnhaus Alexanders von Humboldt, worin heute der Henschelverlag sein Domizil hat. Das Ende der Oranienburger Straße stößt schließlich wieder auf die Friedrichstraße, wo man, über die Weidendammer Brücke gehend, wieder in bekanntes, touristisch erschlossenes Terrain kommt.

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