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Brutalo-Schocker-betr.: "Probleme mit dem Geschlecht" (Endlich als Frau leben - Protokolle einer Geschlechtsanpassung), taz vom 22.3.90

betr.: „Probleme mit dem Geschlecht“ (Endlich als Frau leben - Protokoll einer Geschlechtsanpassung), taz vom 22.3.90

Einen schlimmeren Brutaloschocker als den Film von Felix Kubaqui habe ich lange nicht gesehen, und damit sage ich nichts gegen Kuballa. Nochtsdetischickong, ich habe bis zum Schluß durchgehalten, um zu wissen, wie weit man/fau (schon wieder?/immer noch?) ist. So, und nun weiß ich Bescheid: Alle Frauen sind - so die Kernaussage der Mediziner im Film

-kastrierte Männer mit verkürzter Harnröhre, die „allerdings (...) ihre Regelblutung haben und zeugen, Entschuldigung, empfangen können“ (Originalton Onkel Doktor, einschließlich Versprecher, und ethische Bedenken hat er nicht). Und: Eine von Wende-Psychologen als „gesund“ eingestufte Frau mit einem richtigen „weiblichen Wesen und Empfinden“ hat ihre Orgasmen beim lustvollen Geschirrspülen, dafür Probleme beim Bumsen.

Nun denn, da bleibt nicht viel hinzuzufügen, nur ein paar Fragen offen: Wann werden denn die RassenhygienikerInnen mit ihren Kollegen SexualhygienikerInnen nicht nur theoretisch sondern auch praktisch wieder Schritt halten und ein „Heilverfahren“ gefunden haben, das jedeN, der/die unter Rassendiskriminierung leidet („discriminare“ heißt ursprünglich „unterschiedlich behandeln), durch Totalamputation und lebenslängliche chemische Keule von störenden (weil diskriminationsprovozierenden) äußeren Merkmalen „heilen“? Ach ja, und nicht nur zu „heilen“, sondern ganz nebenbei und unbemerkt elegant am Bewußtsein der Betroffenen vorbei zu sterilisieren. Wie gedenkt doc eigentlich, Chris zu „heilen“, wenn sie und ihr Freund eines Tages Kinder möchten? (...) Ach so, und noch eine Frage: Welchem „Heilverfahren“ soll ich mich eigentlich selbst unterziehen? „Meine“ Erzeuger haben mich nämlich zu einer „Geschlechtsumwandlung“ zu drängen versucht, als ich noch Kontakt zu ihnen hatte. Weil, ich bin nämlich ein ganz komischer Mensch: Ich empfinde mich ausschließlich beim Vögeln und beim Menstruieren als Frau, und ich habe mich natürlich als Frau wahrgenommen, als ich schwanger war beziehungsweise Kinder erwartete und als ich gestillt habe. Ansonsten bin ich ein „ganz schwerer Krankheitsfall“ dessen, was die normalen Psychos „Männlichkeitskomplex“ nennen: Ich denke logisch und abstrakt, ich bin in der Lage zu programmieren und sonstwie zu computerisieren, ich repariere alle möglichen technischen Geräte selbst, spülen tue ich so ungern, daß ich's trotz aller berechtigten ökologischen Bedenken der Spülmaschine überlasse, bügeln tue ich so gut wie nie - und, was das Allerschlimmste ist: Ich schreibe für mein Leben gerne, ganz egal worüber, aber (aufgepaßt, Wende -Psychos!) nie, nein, wirklich nie ohne Surrogat, ehrlich, immer muß ich beim Schreiben zwanghaft irgendein Schreibgerät in der Hand haben. Ich habe schon alles versucht, mir abzugewöhnen, mit so einem unweiblichen Gerät zu hantieren, aber, es geht nicht, ich kann nicht anders, ich bin schwer krank, ohne so ein Ding kann ich nicht schreiben, und andererseits muß ich schreiben, das war so „eine unerklärliche Laune der Natur“, mich mit diesem Drang auszustatten, schreiben zu müssen, und zwar mit Surrogaten: Also wie nun?

Kann ich da ein Rad abhaben, das man mir am besten durch „Heilung“ wieder anpappt? Wie wär's: Brust ab und Hoden draus geschnitten, an die Schamlippen nähen, Rippe und den ganzen inneren Krempel raus, Öffnung zunähen, Rippe ans Schambein heften und aus dem Rest vom Brustfleisch 'nen Dauerständer plastisch chirurgieren? Oder haben nicht vielmehr ersatzweise die selbsternannten „Heil!er“ mindestens zwei Räder und noch was ab und auch noch 'nen totalen Riß in der Tasse? Und haben die, die Begriffe prägen wie „Penisneid“, „Männlichkeitswahn“, „weibliches Wesen“, „männliches Verhalten“, also diese ewigen WeiblichkeitsspinnerInnen und Männlichkeitsverfechter vielleicht einfach nicht kapiert, was Gleichbehandlung und Gleichwertigkeit ist?

Und: Hätte das Problem von Chris sich nicht lösen lassen, indem Chris in einer Umgebung lebt, in der es nicht nur den Hampelmännern von der Queen gestattet ist, zur Freude von Touristen Röcke zu tragen, sondern allen, denen es Spaß macht, und vor allem: Wäre das Problem vielleicht gar nicht zum Problem für Chris geworden, wenn Chris von vornherein als Mensch akzeptiert worden wäre, mit allen Eigenschaften, die dieser Mensch Chris nun einmal hat? Wie oft wird Chris wohl mit „Ein Junge weint doch nicht“ abserviert worden sein, wenn er allen Grund zum Weinen hatte?

Eva Stil-Stängel, Dipl.-Muth. und Matter

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