: Verboten ist noch nicht interessant
■ Polens Tresorfilme sind jetzt im Kino und im Fernsehen zu sehen
Sein Vater ist gerade von der Geheimpolizei abgeholt worden. Während die Lehrer ihn gegen die Eltern aufzuhetzen versuchen, betet er heimlich. Er ist unpolitisch. Was aus ihm letztlich einen Stalinisten macht, ist die Zuneigung zur Leiterin des Pfadfinderlagers, an dem er teilnimmt. Es ist 1956, das Ende des Stalinismus kündigt sich an, doch als der gerade rehabilitierte Vater ihn abholen kommt, weigert er sich: „Ich kann doch meinen Posten nicht verlassen, wenn der Imperialismus im Vormarsch ist.“
Dreszcze, zu deutsch „Schaudern“, heißt der Film des polnischen Regisseurs Wojciech Marczewski. 1981 entstanden, als „dem Zensor die Hand zitterte“, wie die 'Gazeta Wyborcza‘ schrieb, ist er einer jener vielen „Aufrechnungsfilme“, die sich mit Polens Nachkriegsgeschichte befassen und nach 1981 lange verboten waren. Jetzt kehren sie langsam zurück in die Kinos und auf den Fernsehschirm. Przesluchanie, „Das Verhör“ von Ryszard Bugajski ist ein anderes Beispiel, die recht haarsträubende Geschichte einer apolitischen jungen Frau, die in die Fänge der Geheimpolizei gerät, sich in einen ihrer Folterer verliebt, insgeheim von ihm ein Kind im Gefängnis auf die Welt bringt, das man ihr prompt wegnimmt. So realitätsfern die Geschichte, so brutal und realistisch die Einzelheiten. Jahrelang konnte man den Film nur bei oppositionellen Geheimtreffen für Eingeweihte in schlechten, verzitterten Videokopien sehen, die aus Frankreich nach Polen geschmuggelt worden waren. Jetzt läuft er in den Kinos, und auch das Fernsehen hat ihn schon gezeigt.
„Im polnischen Kino gibt es immer noch mehr Bewältigungsfilme als künstlerische Versuche“, urteilte eine polnische Wochenzeitung schon aus Anlaß des Danziger Filmfestivals letztes Jahr. Hatte jahrelang der Kommerz geherrscht, mit häufig platten, oft noch importierten Filmen von Rambo bis zur Klamotte, so ist seit der kulturpolitischen Öffnung noch die „Abrechnungstendenz“ hinzugekommen. Und während auf der politischen Ebene bereits eine sehr lebhafte und tiefgründige Debatte über das Kriegsrecht und seine Ursachen begonnen hat, kämpfen auf der Leinwand immer noch aufrechte Gewerkschafter gegen fiese und korrumpierte Parteigenossen. Nicht immer geht der Kampf eindeutig aus. In Piwowarskis Märzmandeln geht die Hauptperson, ein von der Intellektuellenhetze des Jahres 1968 empörter relegierter Student, schließlich einen Kompromiß ein und sieht sich als Lehrer der gleichen Situation gegenüber wie der Rektor, der ihn relegierte.
Nach diesen Beispielen zu schließen sieht im Moment alles danach aus, als würde Polens Kinematographie eine neue Blüte erleben. Doch der Eindruck täuscht: Was zur Zeit auf Polens Bildschirmen und Leinwänden läuft, ist die Produktion der letzten acht Jahre, die nun aus den Archiven der Zensur geholt wird. Statt von Blüte sprechen Polens Filmschaffende nämlich häufiger von Krise oder gar Katastrophe.
Nach der Abschaffung der Zensur hat Kulturministerin Cywinska inzwischen auch alle anderen Mechanismen abgeschafft, die den Kino- und Filmbetrieb überwachten. Das „Komitee für Kinematographie“, das die Subventionsverteilung kontrolliert, wird künftig nach dem Willen seines Vorsitzenden Juliusz Burski, der zugleich Vizeminister ist, „ein wahres kinematographisches Parlament werden“. Statt Direktoren sollen dort Filmschaffende, Regisseure, Schauspieler und Produzenten sitzen, die von der „Gesellschaft der Filmschaffenden“ entsandt werden. Die Filmstudios werden selbständig, der Vorsitzende des Komitees hat kein Vetorecht mehr gegen Drehbücher. Die Verteilerfirma wird in mehrere Unternehmen aufgeteilt, die sich Konkurrenz machen sollen, wie auch die Kinos selbst in private und kommunale Hände übergehen sollen. Der Einfluß des Staates geht auf ein Minimum zurück.
Das bedeutet für Polens Regisseure auch, daß nun nur noch der Markt, also die Zuschauer über den Erfolg eines Filmes entscheiden - nicht mehr übergeordnete Instanzen, weder im Positiven noch im Negativen. Kein Film verschwindet mehr in der Schublade, weil er „politisch schädlich“ ist, kein Film wird aber auch nur dadurch berühmt und erfolgreich, daß er einmal in der Schublade war. Manche fürchten bereits die Kommerzialisierung: platte, seichte Filme würden ambitionierte verdrängen. Der Erfolg von Przesluchanie (Das Verhör) spricht eher dagegen. Zumal Kinos für die Aufführung polnischer Filme steuerbefreit werden und die Erlöse aus Auslandsverkäufen polnischer Kopien künftig den Produzenten in vollem Umfang zugute kommen. Bisher hatte der Staat die Devisen kassiert und dafür wiederum die Produktion subventioniert, zum Nachteil der „Exportschlager“, was besonders Andrzej Wajda stets erzürnt hatte.
Ganz ohne Subventionen wird es auch in Zukunft nicht gehen. Da jedoch die Zuschüsse vor Drehbeginn zugeteilt werden, die Kosten aber erst später während der Dreharbeiten entstehen, macht Polens Produzenten die Inflation schwer zu schaffen. Insider haben errechnet, daß mit einem Budget, mit dem im letzten Jahr noch 30 Filme möglich waren, in diesem Jahr allenfalls noch acht werden finanziert werden können.
Klaus Bachmann
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